Gallagher hat einen miesen Tag erwischt. Der Gesang war schlampig, das Konzert kürzer als ein Spielfilm, und die Fans in der Tonhalle wirkten enttäuscht darüber, dass in der Setlist keine Oasis-Songs, sondern lediglich ein paar B-Seiten-Raritäten überraschten. Das war im vergangenen Oktober, als Liam Gallagher und seine Band Beady Eye ihre erste Platte in München präsentierten. Fünf Monate später steht sein Bruder Noel und dessen High Flying Birds in gleicher Mission auf derselben Bühne - und vieles ist anders. Der ältere der beiden Brit-Pop-Pioniere, die sich vor knapp drei Jahren im Zoff trennten, um Oasis fortan ruhen zu lassen, zeigt von Beginn an, wer die Knubbelnase vorn hat.
Der Opener "(It's Good) To Be Free" ist mehr als eine Botschaft: Die nämlich, dass sich der begnadete wie launische Songwriter aus Manchester frei und froh fühlt ohne jene Band, die als sein Lebenswerk in die Geschichte eingehen wird, weil sie exemplarisch den Rocksound der Neunziger mitprägte.
Zum anderen stellt er mit dem Auftakt klar, dass er - im Gegensatz zu Liam - kein Problem damit hat, einen Oasis-Song nach dem anderen herunterzureißen. Die Quote erstaunt: Insgesamt neun Oasis-Kracher, darunter "Supersonic" von 1994, stehen neun Liedern vom Soloalbum gegenüber. Dazu gibt es eine B-Seiten-Nummer und das neue Stück "Freaky Teeth" zu hören. Um es auf den Punkt zu bringen: Das ausverkaufte, eineinhalbstündige Gastspiel von Noel Gallagher ist so famos wie skandalfrei, und es gibt keinen Zweifel daran, dass die München-Wertung zu seinen Gunsten ausfällt.
Der Frontmann macht nicht viel, aber er macht viel richtig. Noel, in schlichter Lederjacke und mit gewohnter Playmobilfrisur unauffällig zurechtgemacht, singt präzise und motiviert. Ebenso verhält es sich mit seinem Gitarrenspiel inklusive hübscher Soli.
Seine neue Band, die High Flying Birds, stemmen souverän einen voluminösen Sound, in dem sich die wogende Masse feiernd verliert. Die Euphorie, die sich bei den Variationen der Oasis-Stücke aufbaut, verwandelt sich beim Zugabenblock in Ekstase. Und so gibt es bei "Whatever", "Little By Little", "The Importance Of Being Idle" und "Don't Look Back In Anger" nur einen Zustand: Nostalgie und Glück.
Und genau das ist der kleine Haken, denn mutig ist das nicht. Während Liam allein auf die Kraft seiner neuen Songs setzte, beschreitet Noel den sicheren Weg. Man könnte sich stundenlang darüber streiten, wer von den beiden die spannendere Platte vorgelegt hat und warum. Fest steht: Am Besten sind sie ohnehin zusammen. Kraftklub, die Rockband der Stunde aus Chemnitz, bringen die Sehnsucht vieler in einem ihrer Songs zum Ausdruck: "Wenn du mich küsst, schreibt Noel wieder Songs für Liam."