Neustart:Dr. Sprüngli beim Speeddating

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Ein Schweizer, der sich in München verliebt hat. Seit 50 Jahren lebt Christian Überschall an der Isar - und zieht aus den ethnologischen Beobachtungen der Bayern Stoff für seine Bühnenprogramme. (Foto: Robert Haas)

Kabarettist Christian Überschall will es mit 75 Jahren noch mal wissen und steht wieder auf der Bühne

Als der Schweizer Christian Überschall im September 1960 erstmals in München war, sah er singende und lachende Menschen am Goetheplatz. "Ich dachte mir: Die Münchner sind aber gut drauf", erzählt er. Was er nicht wusste: Es waren Betrunkene, die vom Oktoberfest kamen. "Ich glaubte, das wäre der Normalzustand der Münchner - es war doch erst September." Wie dem auch sei, er verliebte sich in die Stadt. 1968 zog er nach München.

Überschall sitzt vor einer Boulangerie am Wiener Platz, er bestellt einen Cappuccino. Er mag diesen Ort, den Gemüsehändler, das Fischgeschäft, den Würstlpeter, die kleinen Häuschen drumherum. "Hier trifft man noch viele Einheimische", sagt er, "Touristen gibt es nicht so viele." Überschall trägt einen weißen Hut und blinzelt in die Sonne. Er sieht nach Nichtstun aus. Aber er will über die Arbeit reden. Überschall ist Kabarettist, und er hat - nachdem er zehn Jahre alte, leicht aufgehübschte Sachen gespielt hat - ein neues Programm geschrieben. Er sagt, er wolle es noch einmal wissen. Mit fast 76.

Christian Überschall wurde 1942 im Berner Oberland geboren. "Man kann bei der Auswahl seines Elternhauses nicht vorsichtig genug sein", schreibt er - in dem für ihn typischen Duktus - auf seiner Homepage. "Ich habe ein Pfarrhaus im Berner Oberland gewählt, weil sich da intakte neurotische Infrastrukturen mit voralpiner Bodenständigkeit paaren."

Seine frühe Jugend sei "überbehütet" gewesen. Mit sechs lernte er Akkordeon, mit zwölf Klavier. "Ich wäre gerne Jazz-Pianist geworden", sagt er, "aber es hat nie so richtig gereicht." Er ging dann auf eine Dolmetscherschule in Zürich. Überschall lächelt. Bestimmt kommt jetzt eine Pointe. "Ich hab's aber nur bis zum Übersetzer geschafft", sagt er, "fürs Dolmetschen war ich als Berner zu langsam."

Er zog nach München und wurde Steuerberater. Mitte der Achtzigerjahre besuchte er die Liederbühne Robinson in der Dreimühlenstraße. Dort durfte jeder, der im Publikum saß und sich berufen fühlte, auf die Bühne gehen und zeigen, was er konnte. So machten es Andreas Giebel oder Hans Söllner, bevor sie bekannt geworden sind.

Man kann mit Überschall herrlich über die Kabarettisten sprechen, die damals am Anfang ihrer Karriere standen, über Christian Springer und Helmut Schleich, die das Kabarett-Trio "Fernrohr" bildeten mit ... wie hieß er noch mal: Andreas Rüttenauer. "Der ist heute Journalist bei der taz", sagt Überschall. Der dicke Otti Fischer spielte mit dem dünnen Jockel Tschiersch. Bruno Jonas war schon wer. Günter Grünwald wurde gerade wer. Grünwald riss damals im Fraunhofer noch selbst die Eintritts-Karten ab, ehe er auf die Bühne ging und sich einen Hitler-Bart unter die Nase klebte. Das war damals noch neu.

Christian Überschall hatte seinerzeit das, was man heute eine Midlife-Crisis nennt, die Höhen fehlten, alles lief zu geregelt: Weihnachten, Neujahr, Winterreifen runter, Grillparties, Winterreifen rauf, Weihnachten, Neujahr.

Überschall ging also in der Liederbühne Robinson auf die Bühne. Er spielte drei Jazz-Stücke auf dem Klavier, und er kündigte sie mit seinem Schweizer Akzent an. Das war offenbar witzig. Als er fertig war, sagte der Wirt Leo zu ihm: "Mehr reden, weniger spielen."

Überschall überlegte. "Das politische Kabarett interessierte mich nicht, das fand ich vorhersehbar und hämisch." Ihm gefiel das, was amerikanische Comedians machten: ein Mann, ein Mikrofon, und jeder Satz muss eine Pointe haben. "Sogenannte Oneliner - nur Pointen, keine Message", sagt er. "Beim politischen Kabarett musste damals mindestens einmal Auschwitz erwähnt werden, um vom Feuilleton ernst genommen zu werden."

Überschall hat den Cappuccino für einen Berner erstaunlich schnell getrunken. Jetzt sitzt er einfach da und erzählt, fast immer im gleichen Ton, manchmal lächelt er, oft zitiert er Witze aus seinen Programmen. Manchmal spitzt er den Mund, und dann sieht er ein bisschen aus wie der Schauspieler Günther Maria Halmer.

Er befolgte Leos Rat und schrieb sein erstes Programm. Überschall brauchte fünf Jahre dafür und nannte es "Die Zuzibilität der Weißwurst". Es ging um die Bayern, die Schweizer und die Österreicher. "Ethno-Kabarett", sagt er. Die Österreicher-Witze habe er sich selbst ausgedacht, bei den Schweizern ging es - natürlich - um die Sprache und die Langsamkeit: "Warum bist du auf diese Schnecke getreten?" - "Ich weiß nicht, sie kam von hinten."

Und die Bayern? "Sie sind sehr ergiebig", sagt Überschall. "Neulich fragte mich ein Bayer: ,Wie geht's?' Und ich: ,Gut.' Er: ,Und Ihrer Frau?' ,Schlecht!' Und er: ,Des is d'Hauptsach.'" Überschall lacht. "Er hörte gar nicht zu, er fragte, ohne dass er es wissen wollte." Das kam natürlich rein ins Programm.

Irgendwann sei das Ethno-Kabarett ausgereizt gewesen, sagt Überschall. Er suchte nach einem "neuen zeitlosen Thema" und erfand den schrulligen Sexualforscher Dr. Wilhelm G. Sprüngli. Er nannte das Programm "Cunnilingus ist kein Honigschlecken" und ließ Sprüngli Sätze sagen wie: "Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass nur Männer nach dem Tanken den Einfüllstutzen abschütteln." Er sagt, er habe stets aufpassen müssen, dass es nicht zotig und ordinär werde. Dann lacht er. Wenn Christian Überschall lacht, ist es leise, fast tonlos. Die Mimik ändert sich kaum. Kann man langsam lachen?

Überschall sagt, er habe "20 supergute Jahre" als Kabarettist gehabt. "Ich hatte damals deutschlandweit 120 Auftritte pro Jahr - ich war in den besten Häusern, in der Pfeffermühle in Leipzig, in der Alten Oper in Frankfurt, im Senftöpfchen in Köln." Das Schweizer Boulevardblatt Blick fragte einmal: "Ist Überschall der neue Emil?" Der Schweizer Kabarettist Emil Steinberger war ein Genie. "Das war zu viel des Lobs", sagt Überschall.

Überhaupt, er habe "zu viele unterschiedliche Sachen gemacht, um richtig populär zu werden": Ethno-Kabarett, Dr. Sprüngli, Programme über Irland und die sexuellen Verirrungen der Beatles. Er habe dadurch keinen "sofortigen Wiedererkennungswert" gehabt - wie etwa Frank-Markus Barwasser mit seinem Erwin Pelzig. Er sei aber nicht traurig darüber. "Ich möchte nicht mit einem wie Dieter Nuhr tauschen - der hat richtig Druck: Jeden Monat eine neue Sendung." Er, Überschall, sei keiner, der auf Termin "abliefern" könne. Manchmal braucht er eben zehn Jahre.

Das neue Programm, das im Juli im Gasteig Premiere hatte, wird von einem alten Bekannten präsentiert, von Dr. Sprüngli, und es heißt "Von Speeddating bis Nordic Stalking - über Beziehungen 2 go." In der Vorschau schreibt er: "Vor ein paar Jahrzehnten musste sich ein Paar ewige Treue schwören, ohne sich jemals nackt gesehen zu haben, heute ist man schon vor dem ersten Date bestens über die Anatomie des Partners im Bilde."

Warum greift er noch mal an, mit fast 76, wo er doch jeden Morgen am Wiener Platz Cappuccino trinken und danach zur Isar radeln könnte. "Es ist Gott sei Dank nicht so wie bei vielen Altrockern, die Kohle brauchen", sagt er. "Der wichtigste Grund für mich ist: Wenn das Programm einmal steht, ist das Spielen purer Genuss." Außerdem habe er in seinem neuen Programm "Wortwitz und Musik" vereint. Er spielt darin auch oft Klavier. Es wird wieder mehr Lieder-Bühne.

© SZ vom 09.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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