Neues Geschäftskonzept:Wo Promis anonym shoppen

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Bayernspieler, Tatort-Kommissare, Dax-Vorstände: In München verbreitet sich ein Shoppingkonzept für Kunden, die nach Fashion-Trends jagen und dabei unerkannt bleiben wollen.

Von Philipp Crone

"Großartig, du hast uns gefunden!" Die Geschichte über ein Modegeschäft in Brooklyn, an deren Ende dieser Satz steht, ist das perfekte Beispiel für eine krachende Pleite. Könnte man meinen. Wenn Philip Stolte, ein schmaler Münchner mit schwarzem Haar und lichtem Bart, erklären will, wie sich das Modegeschäft in München verändert, erzählt er diese Geschichte, wie er in New York einen Laden suchte. Er sitzt in seinem winzigen Modegeschäft in der Zieblandstraße 5, das Hemd schlabbert über der Jeans, sein Cap legt er ab und fährt sich durch die Haare. "Ich bin in Brooklyn einmal um den Block gelaufen, dann erst habe ich die Treppe nach unten in den Laden gefunden."

Stolte, 31, studierter Grafikdesigner und seit sechs Jahren Männermode-Einzelhändler mit seinem Laden namens Hrvst, schaut auf sein Cap und lächelt, weniger wissend, eher versonnen, ein wenig schüchtern. Kein Mir-nach-Überzeugungslächeln eines Geschäftsmanns. Dabei gehört das natürlich schon auch zum Konzept. Das Zurückhaltende, dezente. Wenn Stolte über München, Mode, Männer und Läden spricht, ist deutlich zu hören, dass hier einer genau zu wissen glaubt, wo es langgeht. Dass er nicht weiß, wo es langgeht, ist ihm nur in Brooklyn passiert.

Nebenstraße als guter Geschäftsort

An diesem Freitag eröffnet Stolte sein zweites Geschäft, gegenüber in der kleinen Straße, diesmal wird es Jalousien geben, mit denen man die Schaufenster verdecken kann. Jalousien? Nebenstraße? Ein Einblick in eine Branche, die sich wandelt.

Die Auswahl ist für Philip Stolte entscheidend. Denn: Viel Ware hat er nicht. (Foto: Florian Peljak)

"Neulich lief eine Gruppe von vier Asiaten über den Bürgersteig. Die haben über ihre Smartphones gebeugt unseren Laden gesucht." Hrvst, gesprochen Harvest, englisch für Ernte, ist eine Marke geworden, internetzional quasi.

Immer mehr Nischen für die Weltbürger

Suchen. Das Phänomen kennen auch Ulrich Hirmer vom großen Männerhaus, und Wolfgang Fischer von City-Partner, dem Verband der Innenstadt-Händler. Jagen. Darum geht es - Männer eben. Stolte weiß das. In seinem Geschäft nimmt er eine Stoffdecke in die Hand, aus Leinen, "Deck Towel aus New York", von einem Grafiker designt, dünn, ohne Vertrieb in Europa, er musste mit dem Zoll verhandeln, die Beamten wussten nicht, was dieses Stück Stoff nun sein soll, ein Handtuch? "Die Macher haben uns angemailt", sagt er, so kam er auf Deck Towel.

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125 Euro für ein Leinen-Baumwollgemisch. Frisch eingetroffen. Es liegt auf einem knöchelhohen Tisch in einem Raum mit weiß gestrichenem Holzboden und dem Hrvst-Logo an der Holzwand. Ein H, mit einem Pfeil nach Westen. H-West. "Eine Art Brandzeichen, wie es die Cowboys früher nutzten, die nicht lesen konnten." Der Cowboy, der seine Herde führt. Stolte führt seine Herde auf modisch noch nicht abgegrastes Gebiet.

Die Herde wächst. Warum? Fischer von City-Partner sagt: "Es gilt zwar grundsätzlich noch immer, dass die Lage entscheidend ist für ein Geschäft, aber gerade in der Mode gibt es seit einiger Zeit das Phänomen der Indianer, die limitierten Teilen nachjagen." Da trifft es sich gut, wenn man Dinge entweder entdecken kann, wie die Leinentücher, oder sich gleich der ganze Laden versteckt. Ulrich Hirmer spricht vom "Wunsch nach Individualität", wenn er erklärt, warum es immer mehr Mode-Nischen gibt. "Früher gab es auch mal den Trend zur schwarzen Nylonjacke, dem dann alle gefolgt sind, das hat sich sehr geändert. Heute sei vieles durch die Globalisierung vereinheitlicht, also suche man nach Dingen, die es nicht überall gibt. "Kunden suchen Überraschungen, Produkte, die anders sind."

Die suchen viele in München seit einiger Zeit eben abseits der Hauptstraßen. Beastn etwa ist ein Geschäft in Schwabing, oder Distorted People, eine eigene Männer-Marke im Glockenbachviertel. Kunden sind Bayernspieler wie David Alaba oder - bis vor kurzem - Bastian Schweinsteiger. Oder das Geschäft Schwittenberg in der Hildegardstraße, mit einem ähnlichen Konzept wie im Hrvst. Bei Stolte kaufen dann auch mal Elyas M'Barek, Dax-Vorstände oder Tatort-Kommissar Axel Milberg ein.

Diese Kunden sind besonders zufrieden, wenn sie ungestört in Nebenstraßen Hemden anprobieren können. Und wenn sie Läden finden, die es verstehen, fast ausschließlich anderes zu bieten, sind sie zum Beispiel bei Stolte in der Zieblandstraße. Dort gibt es nicht nur Ausgefallenes, auch Nike-Schuhe, aber von einer Serie vor allem die sehr seltene Oreo-Schwarzweiß-Variante. "Wir hatten 14 Paar, die sind fast alle weg", sagt Stolte.

Elitärer Zirkel der Modechecker?

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Die Auswahl ist entscheidend. Denn viel Ware hat er nicht. Also muss dem Kunden, hat er hierher gefunden, eigentlich alles gefallen. Stolte möchte dabei aber den Eindruck vermeiden, dass der Kunde das Gefühl hat, bei ihm einem elitären Zirkel der Modechecker anzugehören. Es ist eher die modische Überzeugung, die seine Zielgruppe gut finden wird. Das kann die ganz seltene Jacke sein, aber eben auch der Adidas-Klassiker Gazelle, den es in jedem Laden zu kaufen gibt. "In München ist es ja generell schon eher so, dass die Leute etwas konservativer sind und den sicheren Trends folgen. Und dann nehmen sie ab und an etwas Gewagteres aus einem kleinen Laden mit."

Wobei, was ist heute schon gewagt, wo man alles überall bestellen und online einsehen kann und immer mehr zudem unisex ist? In Stoltes Geschäft gibt es Parfum, Brillen, Hosen, Hemden, Schuhe. Manche Modelle in den Größen von 36 bis 40 für Frauen, und bis 46 für Männer. Gerade, zur Sale-Zeit, lichten sich die Regale.

Der Sinn und das Gefühl für das, was andere jagen könnten, wie entsteht der? Früher führte der Vater des 31-Jährigen mehr als 30 Jahre lang hier sein Atelier als Illustrator, etwa für die TKKG-Jugendbücher. Ab und an verkaufte er gedruckte T-Shirts. Und der Sohn war oft im Laden. Als der Vater im Jahr 2009 aufhören wollte, schrieb Stolte gerade seine Diplomarbeit, Thema: "Corporate Identity eines Modelabels und seine Umsetzung". Der Laden wird die Arbeit. Der Laden des Vaters, eines Jukebox-Sammlers und Drummers.

Stolte bearbeitete Grafik-Aufträge und verkaufte Shirts, und suchte seine Nische, sein Konzept, seine Corporate Identity. "Einen auf Männer spezialisierten nischigen Laden". Harvest. Ernte. Saison. Säen. Bald wurden für Insider relevante Marken wie A.P.C. auf ihn aufmerksam, oder auch Patagonia. "Wir haben dann allerdings drei Saisons gebraucht, bis unsere Kunden Patagonia in unserem Geschäft verstanden haben."

Den Eindruck, einem elitären Zirkel anzugehören, möchte Stolte dabei vermeiden - es ist die modische Überzeugung, die seine Zielgruppe ansprechen soll. (Foto: Florian Peljak)

Ein Frauenladen mit Unisex-Mode

Die Luxus-Outdoor-Marke? Nicht limitiert, nicht hip. Oder? "Das war vielen erst einmal zu kommerziell." Nach einiger Zeit allerdings wurde klar, warum Stolte einen Rucksack im Laden ausstellt: "Die recyclen alles. Und ästhetisch ist die Marke immer frisch." Auch das Material und die Herstellung interessieren die Jäger. Und als Stolte jetzt in Paris bei den Modenschauen war und ihm Dutzende fast gleiche blaue Pullover mit rundem Kragen angeboten wurden, wusste er schnell, welcher funktionieren würde. Der mit dem besonderen Material. Seltenheit, Material, Anspruch, das sind Faktoren für den Münchner bei der Jagd. Und dann hat Stolte den Vorteil, dass er einer Szene entstammt, die per se als eine gilt, in der man weiß, was gut aussieht: Grafiker, Kreative.

An diesem Freitag macht er einen Frauenladen auf. Gegenüber. Sprout. Spross. Frauen? Stolte lächelt wieder sein Lächeln. "Handtaschen und Schuhe kann ich gar nicht", sagt er, "aber wir haben ja schon länger den immer weiter reichenden Unisex-Gedanken im Geschäft." Außerdem habe er Mitarbeiterinnen und seine Schwester. Sobald sein zweites Geschäft läuft, will er "den Damenladen mit Herrenklamotten dekorieren und andersherum, ohne es zu sagen". In der Zieblandstraße ist es zumindest schon so, dass danach kaum mehr unterschieden wird. Die Kunden kaufen, was im Angebot ist. Wann kommen Cowboyhüte? Lächeln. "Über Gürtelschnallen habe ich schon nachgedacht."

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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