Neuere Stadtgeschichte:Eine Heimat aus dem Boden gestampft

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Vor einem Vierteljahrhundert hat die MRG GmbH auf dem alten Flughafenareal mit dem Bau der Infrastruktur für die Messestadt Riem begonnen. MRG-Chef Helmut Aschl war von Anfang an dabei und zieht nun, da das Viertel 20. Geburtstag feiert, zum Abschied Bilanz

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

20 Jahre Messestadt: Für die Bewohner ist das Grund genug, einen Blick zurück zu wagen und den Stadtteil in diesem Jahr mit Aktionen und Diskussionen zu feiern. Helmut Aschl ist stolz, dass die Menschen ihren Stadtteil so lieben, dass er vielen zur Heimat geworden ist. Aschl hat in seiner Funktion als technischer Geschäftsführer der MRG, des Maßnahmeträgers, der im Auftrag der Stadt von der Straße bis zum Schulzentrum, vom Park bis zum See, vom Quartiersplatz bis zum Spielplatz, die gesamte öffentliche Infrastruktur in dem Baugebiet hergestellt. Bei einer Jubiläumsveranstaltung in der Kultur-Etage hat die MRG einen Kuchen spendiert, mit einem Luftbild der Messestadt oben drauf als "süße Krönung".

Auch Aschl blickt also zurück, obwohl die MRG lange vor den ersten Bewohnern da war und keinen "runden" Geburtstag feiern kann. Aber es sind für Aschl die letzten Tage im Amt. Nun, kurz nach seinem 70. Geburtstag, verabschiedet sich der Mann, der das Viertel aus vielen Perspektiven, von Anfang an, von oben und unten und aus mehreren Funktionen kennt, in den Ruhestand. Auch ein Anlass, eine Bilanz dieses Organisationsmodells zu ziehen. Und zwar aus Helmut Aschls Sicht eine rundum positive.

Hätte die Stadtverwaltung selbst sich um all diese Projekte kümmern müssen, wäre es ohne Neueinstellungen nicht gegangen. Die städtischen Kassen waren klamm damals, ein Aufblähen des Apparats wollte man vermeiden. Die MRG konnte je nach Bedarf den Mitarbeiterstamm anpassen. In der besten Zeit, während der Bundesgartenschau 2005, hatte sie 28 Mitarbeiter. Ursprünglich hatte man mit einem größeren Team gerechnet. Vor allem wegen dieser Chance auf Flexibilität hatte der Stadtrat sich das Modell Maßnahmeträgerschaft ausgedacht - und dieses europaweit ausgeschrieben, erzählt Aschl.

An diese Zeit, die frühen Neunzigerjahre, erinnert er sich noch als Stadtratsmitglied der SPD. Ein Konsortium rund um die Landesbank erhielt damals den Zuschlag - und hatte sich auch um die Vorfinanzierung der Projekte zu kümmern, damit der Haushalt der Stadt nicht auf Jahre hinaus mit diesen Ausgaben formal belastet war. Die Stadt hatte den Vorteil, dass die Flächen, rund 560 Hektar, in ihrem Besitz waren, sie konnte also sicher sein, dass sie die Infrastruktur am Ende aus den Erlösen für die Grundstücke bezahlen kann. Geplant war damals eine Laufzeit der MRG bis 2013, dann sollte die gesamte Messestadt "fertig" sein. Es kam anders.

Erste große Aufgabe der MRG war die Freimachung des Geländes. Leicht gesagt, schwer getan, denn unter der Landebahn und drumherum lagen noch viele Weltkriegsbomben im Boden. Aschl kam zur MRG als Projektleiter für Bauangelegenheiten. Da existierte zwar der städtebauliche Gesamtplan, aber noch kein einziger fertiger Bebauungsplan. Aschl hat alle Daten im Kopf: 1992 Abzug des Flughafens, 1990/91 schon der Wettbewerb für die Zukunft der Flächen, 1994 Gründung der MRG. Hauptsammelkanal und Haupttrinkwasserleitung mussten erstellt werden. Die MRG residierte damals noch in der Wappenhalle des früheren Flughafens. "Zwischen dem C und dem H von München war mein Büro", erzählt Aschl. Unweit der Messestadt, drüben in Trudering, lebten seine Großeltern, er kannte sich aus.

Als vor zwei Jahrzehnten die ersten Bewohner kamen, war die Feuerwache fertig, die war unerlässlich auch für die Messe. Und die Lehrer-Wirth-Schule, denn schließlich hatte man aus Neuperlach gelernt und wollte mit den Schulbauten nicht hinterherhinken. Die Schule war dann so früh da, dass sie erst noch "zwischengenutzt" wurde, unter anderem von griechischen Klassen. Am meisten vermissten die Pioniere Einkaufsgelegenheiten, doch dafür, sagt Aschl, heute noch erleichtert, war die MRG nicht zuständig.

See inklusive: Helmut Aschl (rechts) und sein Büroleiter Klaus Kellerer haben bei der MRG GmbH die Basis für die Messestadt Riem gelegt. Als die Infrastruktur stand, kamen die Bewohner. (Foto: Catherina Hess)

Als einen Vorteil der MRG nennen Aschl und sein Büroleiter Klaus Kellerer, auch er seit vielen Jahren dabei, die große Effektivität dieser kleinen, wenig hierarchischen Einheit, die ohne lange Verwaltungswege auskommt. Im Stadtrat war damals eigens ein referatsübergreifender Riem-Ausschuss gebildet worden. "Wir hatten wenig Reibungsverluste", lobt Aschl. Geschäftsführer der MRG war Helmut Aschl seit dem 1. Oktober 2009, zehn Jahre lang. Längst ist die MRG zu einer Tochtergesellschaft der Stadt geworden, ist inzwischen auch mit der Sanierung der städtischen Kliniken betraut.

Fertig, das betonen Aschl und Kellerer, sei die Infrastuktur immer noch nicht. Eine Kita stehe noch aus, die Sanierung der Flughafentribüne, ein letzter Zipfel des Parks, vor allem aber der neue Schulcampus mit Gymnasium, Realschule, Schwimmbecken und Volkshochschul-Außenstelle - ein Projekt im dreistelligen Millionenbereich. Man habe jetzt aber längst die nötige Routine im Umgang mit Architekten, Baufirmen. Bewältigt seien inzwischen auch die Prozesse zu den damaligen Baumängeln der Lehrer-Wirth-Schule: "Sogar die Gewährleistung der Sanierung ist abgeschlossen."

Wann die Schlussrechnung für alles erfolge? Man weiß es nicht, sagt Aschl. Eine Erfolgsbilanz aber zieht er, dessen persönlicher Lieblingsplatz in der Messestadt der Aussichtshügel ist, schon jetzt: Das Maßnahmeträgermodell habe die Stadt auch für die Stadterweiterung im Münchner Nordosten auf dem Schirm, weiß er. Und weltweit finde das Modell Beachtung, aus vielen Städten kommen Delegationen und lassen sich das Erfolgsgeheimnis der MRG erklären. Dann sind sie stolz, der scheidende Geschäftsführer und sein Büroleiter.

In der Messestadt werde die allerletzte Maßnahme der MRG sein, ihren eigenen Büro-Behelfsbau aus Flughafenzeiten an der Paul-Henri-Spaak-Straße abzureißen und gemäß dem Bebauungsplan auch hier eine Grünfläche herzustellen. Aschl kann sich schwer trennen. Er überlegt, im Ruhestand ein Buch über "seine" Messestadt zu schreiben. Wer, wenn nicht er?

© SZ vom 17.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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