Neue U-Bahn-Züge:Nächster Halt: München

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Es geht um Bremsen, die Anordnung der Fenster und die Höhe der Türen: Wie Siemens und die MVG in einem Wiener 3-D-Labor an den neuen Münchner U-Bahn-Zügen basteln.

Marco Völklein

Diese Brillen lassen einen ziemlich dämlich aussehen. Ein riesiges Gestell, gelber Rahmen, das eine Glas grün, das andere rot. Nein, hübsch sind die Brillen nicht. Aber wirkungsvoll. Die Herren in ihren grauen Anzügen schauen alle auf eine große Leinwand - in das Innere des neuen U-Bahn-Zuges, der von Dezember 2013 an im Münchner Netz rollen soll.

Vom Jahr 2013 an sollen die ersten Waggons des neuen Zug-Typs "C2" im Untergrund unterwegs sein und die teils 40 Jahre alten Wagen ersetzen. (Foto: Neumeister)

Die Herren unterhalten sich über die leicht gebogenen Haltestangen, über die bis zum Boden reichende Glasscheibe hinter dem Führerstand und die Anordnungen der insgesamt 940 Sitz- und Stehplätze. Doch noch gibt es diesen Zug gar nicht. Die blauen Sitzbezüge, die hellen Wandverkleidungen, die TV-Monitore an den Decken - bislang bestehen sie nur als Simulation in den Rechnern der Entwickler.

Und dennoch kann man im 3D-Labor bei Siemens in Wien schon mal in die Zukunft blicken. Reinschauen in den Waggon, mit dem die Münchner künftig im Untergrund unterwegs sein werden.

21 neue U-Bahn-Züge hat die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) bei Siemens bestellt. Von Dezember 2013 an sollen die ersten Waggons im Münchner Untergrund unterwegs sein. Die Entwickler von Siemens in Wien, Berlin und Erlangen, die Fachleute der MVG in München, die Designer von N+P Design im Lehel - sie alle werkeln seit Monaten an dem neuen Fahrzeug herum.

Sie diskutieren über den Antrieb und die Bremsen, die Anordnung der Fenster, die Höhen der Türen. Jedes noch so kleine Detail muss abgestimmt werden zwischen dem Lieferanten Siemens und dem Kunden MVG, der sich wiederum vom Münchner Designer Alexander Neumeister beraten lässt.

Um erkennen zu können, wie sich welche Entscheidung auf das Endprodukt auswirkt, setzen sich die Ingenieure und Kaufleute immer wieder im Labor zusammen und schauen in die Bahn hinein. Ein Computer erzeugt dabei auf einer Leinwand ein dreidimensionales Bild des Zuges. Zugrunde liegen dem Ganzen die exakten Daten aus den Plänen der Ingenieure.

Die Bahn lässt sich dabei drehen und wenden, die Techniker können in das Innere der Bahn hineinzoomen, auch einzelne Bauteile in der Mitte durchschneiden. Die Steuerungs- und Bremstechnik am Unterboden lässt sich genauso ansehen wie die Konstruktion des Daches oder die Aufteilung des Führerstands.

An diesem Mittwochmorgen müssen sich Chefdesigner Neumeister, MVG-Chef Herbert König, Siemens-Vertriebsmann Jürgen Zöbl und Projektleiter Norbert Grandjean mit dem Einbau der geplanten Fahrgastzählanlage über den Türen herumärgern. Das Teil ist gerade einmal zehn Zentimeter lang und zwei bis drei Zentimeter breit, ein kleines Kabel hängt daran und ein Stecker für die Stromzufuhr und die Übertragung der Daten. Eigentlich keine große Sache, meint man als Laie.

Doch dann geht es ins Detail: In dem Kasten über der Tür ist eigentlich kaum noch Platz für eine solche Zähleinrichtung. Designer Neumeister ist der Kasten ohnehin schon viel zu wuchtig - aber irgendwo muss die Mechanik für die Türöffner ja hin, haben ihn die Ingenieure überzeugt. Nun also noch die Zählvorrichtung. Neumeister befürchtet, die Kästen über den Türen könnten am Ende noch viel tiefer in die U-Bahn hineinragen.

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Es geht also um Millimeter. Im 3D-Labor zoomen die Techniker in den Kasten über der Tür hinein. Riesig groß erscheinen die Laufschienen und die Motoren, die die Eingangstüren bewegen. Man sieht: Unter der Abdeckung ist wirklich nicht viel Platz. Letztlich aber findet man gemeinsam doch noch einen Fleck, wo die Zähleinrichtung montiert werden kann, ohne dass der Kasten noch mehr Raum über den Türen einnehmen würde.

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So arbeiten sich die Verantwortlichen Stück für Stück durch den Zug. Wo bringt man die Anlage zur Brandbekämpfung unter? Wie lässt man die warme Luft im Winter in den Innenraum fließen? Wo verlegt man die Kabel für die Infotainment-Anlage?

Das alles wird in mühsamer Kleinarbeit geklärt, manchmal in sehr mühsamer Kleinarbeit. Projektleiter Grandjean ist dabei derjenige, der immer wieder aufs Tempo drückt. Denn der Diplom-Ingenieur hat den Zeitplan im Blick, und der ist "äußerst ambitioniert", wie es bei Siemens heißt. "Verdammt knapp" wäre wohl treffender.

2013 soll Siemens den ersten Wagen der neuen Baureihe ("C2" genannt) der MVG fix und fertig auf den Hof stellen. MVG-Chef König und seine Leute haben den Siemensianern dabei einige zusätzliche Aufgaben gestellt: Der erste Wagen muss auf einer Teststrecke des Konzerns im Rheinland insgesamt 25.000 Kilometer gelaufen sein und darf dabei insgesamt nur vier Fehlermeldungen aufweisen.

Treten mehr Fehler auf, muss Siemens diese ausbessern - und im Anschluss beginnt die 25.000-Kilometer-Prozedur von vorne. Möglich ist also, dass zum Ende hin, sollten mehr Fehler auftreten als geplant, die Testfahrer im Drei-Schicht-Betrieb die U-Bahn über die Teststrecke am Niederrhein jagen werden - rund um die Uhr. Immer wieder anfahren, nach etwa einem Kilometer stoppen, Türen öffnen, Türen schließen, weiterfahren. "Das ist eine echte Herausforderung", sagt Grandjean.

Eine ähnliche Herausforderung wird die Zulassung der neuen Züge durch die technische Aufsichtsbehörde, die bei der Regierung von Oberbayern angesiedelt ist. Mit der liegt die MVG seit über einem Jahr im Clinch, weil die Bezirksregierung den neuen Trambahnen vom Typ "Variobahn" die Zulassung verweigert.

Bei den Herstellern von Schienenfahrzeugen gelten die Aufseher an der Isar als besonders penibel und zum Teil auch äußerst pingelig - deshalb spricht Projektleiter Grandjean auch hier von einer "Herausforderung". Immerhin: Ein erstes Abstimmungsgespräch zwischen Siemens, MVG und den Aufsehern hat vor kurzem stattgefunden.

Im Januar will Siemens in seinem Wiener Werk mit der Produktion der 21 U-Bahnen beginnen. 185 Millionen Euro lässt sich die MVG die neuen Fahrzeuge kosten, die vor allem alte Waggons aus den sechziger Jahren ersetzen sollen. Zudem benötigt MVG-Chef König die Bahnen, um vor allem im Berufsverkehr auf den überlasteten Innenstadt-Trassen das Angebot ausdehnen zu können.

Daher hat er mit Siemens eine Option über weitere 46 Züge vereinbart. Siemens-Projektleiter Grandjean hofft darauf, dass aus den Optionen bald richtige Aufträge werden. Denn erst dann, so sagt er, lohne sich die aufwendige Entwicklung in den Wiener 3D-Laboren so richtig für den Münchner Konzern.

© SZ vom 06.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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