Neue Studie:Früher geht doch billiger

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Stadtwerke könnten den Kohleblock im Kraftwerk Nord eher stilllegen - allerdings nur unter bestimmten Bedingungen

Von Dominik Hutter

Den Kohleblock im Kraftwerk Nord vorzeitig abzuschalten, könnte für die Stadtwerke bald auch aus wirtschaftlichen Gründen interessant werden. Zu diesem Schluss kommt eine gemeinsam von dem kommunalen Unternehmen sowie dem Öko-Institut erstellte Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Voraussetzungen dafür seien weiter sinkende Erdgaspreise sowie eine "sehr ambitionierte Klimaschutzpolitik", die den Ausstoß von Kohlendioxid verteuere. Realistisch ist aus Sicht der Experten eine Zeitspanne um das Jahr 2030 herum. Vor 2025 sei auf jeden Fall mit Verlusten zu rechnen.

Bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen müssten die Stadtwerke auf Gewinne zwischen 153 und 314 Millionen Euro verzichten, falls sie die Anlage vor dem geplanten und umstrittenen Ausstieg im Jahr 2035 vom Netz nehmen - je früher dies geschieht, umso höher ist der Betrag. Aus Sicht der Rathaus-Mehrheit ist daher der Termin 2022, für den ein Bündnis gerade Unterschriften sammelt, weiterhin keine Option.

Das Papier wird an diesem Donnerstag der Energiekommission im Rathaus vorgestellt. Der Aufsichtsrat der Stadtwerke hat bereits vor einigen Wochen beschlossen, der Empfehlung der Experten zu folgen und zunächst am Weiterbetrieb der Anlage festzuhalten. Allerdings soll die Situation in regelmäßigen Abständen neu überprüft werden. Schon jetzt haben sich im Vergleich zur Vorgänger-Studie von 2015 die Zahlen deutlich verändert. Damals war noch von Verlusten von bis zu 600 Millionen Euro die Rede gewesen. Verantwortlich für die Halbierung dieser Summe sind die niedrigen Erdgaspreise, das neue Gesetz zur Kraft-Wärme-Kopplung sowie höhere Kosten für den Ausstoß von Kohlendioxid. Dieser Trend innerhalb kurzer Zeit zeige, "dass in Abhängigkeit von der erwarteten Entwicklung der Energiepreise eine vorzeitige Stilllegung von HKW Nord 2 möglich werden könnte", steht in der Untersuchung, die derzeit noch unter Verschluss ist. Eine Aussage, wann ein günstiger Ausstiegstermin ist, wagen die Experten nicht. Dazu sei die "Bandbreite des finanziellen Schadens" zu groß.

Auch die Stadtwerke haben aus den geänderten Bedingungen Konsequenzen gezogen. Anders als bislang geplant, soll das Heizkraftwerk Freimann modernisiert werden und zwei neue Gasturbinen erhalten, das geänderte Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz bietet dafür wirtschaftliche Anreize. Das reicht allerdings bei Weitem nicht aus, um den Ausfall zu kompensieren, den eine rasche Stilllegung des Kohleblocks auslösen würde. Freimann kann bis zu 140 Megawatt Fernwärme liefern, Nord kommt auf 550.

In dem Ausstiegsszenario des von der ÖDP geführten Bündnisses wird ein forcierter Ausbau der Geothermie unterstellt, um die Wärmeleistung des Kohleblocks zu ersetzen. Nach Angaben der Stadtwerke ist dies jedoch reine Utopie. Die Geothermie lasse sich nur langsam ausbauen. Knackpunkt ist das Fernwärmenetz, das zu wesentlichen Teilen für rund 120 Grad heißen Dampf ausgelegt ist. Diese Temperaturen kommen mit Geothermie nicht zustande, das Netz muss auf Heißwasser umgestellt und aufwendig umgebaut werden. Sollte es zum Bürgerentscheid und einer Mehrheit pro Ausstieg im Jahr 2022 kommen, müssten nach Angaben der Stadtwerke teure temporäre Heizwerke angeschafft werden, die dann mit Gas betrieben würden.

Auch in der Studie gehen die Experten davon aus, dass das Fernwärmenetz erst 2030 komplett geothermietauglich ist. Bis 2025 können laut aktueller Planung fünf neue Geothermie-Anlagen ans (in Teilen schon auf Heißwasser umgestellte) Netz gehen, sechs weitere sollen bis 2032 folgen. Den Ausfall bei der Stromerzeugung könnten gasbetriebene Anlagen wie die Kraftwerke Süd oder Freimann sowie Einkäufe an der Strombörse kompensieren.

Beim Strom warnen Experten vor Gefahren für die Versorgungssicherheit. Derzeit verfüge München über eine "Inselnetzfähigkeit", die Stadt kann sich autark mit Strom versorgen. Laut Studie ist das hoher volkswirtschaftlicher Nutzen. Vor allem das Kraftwerk Nord leiste einen wesentlichen Beitrag, die Schäden bei weiträumigen Stromausfällen gering zu halten. Die Verfasser der Studie prognostizieren bei einer Stilllegung von Block 2 deutlich verringerte Kohlendioxid-Emissionen. Bis zu 10,6 Millionen Tonnen blieben Deutschland erspart. Allerdings nur, wenn der europaweite Emissionshandel reformiert wird. Werden die Zertifikate einfach von anderen genutzt, lautet die Einsparung: null.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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