Flüchtlinge in München:Wenn der Schnee zur echten Gefahr wird

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Dem "Monaco Franze" mag es zwar ein bisschen kalt sein, lebensbedrohlich ist der Münchner Winter aber nicht. (Foto: imago/Lindenthaler)

In München schimpfen alle über die Kälte - und drehen die Heizung an. In Afghanistan ist jeder froh, wenn er den Winter überlebt, schreibt unser Kolumnist.

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Der Winter hat noch nicht begonnen, schon beschweren sich viele Münchner über Kälte. Wie praktisch, dass man hier nur die Heizung aufdrehen muss, und schon wird es warm. Bald werden viele wieder Ski fahren, sogar Frauen und Kinder dürfen das. Vorher kaufen sie sich dicke Jacken.

In Afghanistan bleibt für viele Menschen kaum Zeit für die schönen Seiten des Winters, viele sind froh, wenn sie diese gefährliche Jahreszeit einigermaßen gesund überstehen. Gerade für die Tagelöhner gibt es im Winter noch weniger Verdienstmöglichkeiten als sonst - und Tagelöhner gibt es in Kundus im Gegensatz zu München viele. Im Winter müssen afghanische Kinder deshalb umso mehr mithelfen, die Familie zu ernähren.

Die meisten verdienen sich ein paar Afghani dazu, indem sie die Dächer vom Schnee befreien - und ich meine richtigen Schnee. In Afghanistan würde es niemand Schnee nennen, wenn die Münchner schon von einem "Winterchaos" sprechen und losrennen, um sich beim ersten Frost Schneeketten zu kaufen. In München sieht man auch kaum Menschen auf Dächern Schnee schippen, in Afghanistan ist das eine eigene Branche. Die Arbeit auf dem Dach ist ein echte Knochenarbeit. Und wenn man fertig ist, muss man den runtergeschaufelten Schnee auch noch von der Gasse schippen.

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Unter den Dächern sind die meisten afghanischen Häuser aus Lehm, statt Glasfenstern gibt es oft eine Plastikfolie. Bei Schnee dringt schnell Nässe ein und die Böden werden feucht. Wegen des extremen Wetters fällt oft der Strom aus, Heizung oder Gasöfen gibt es nicht - und Brennholz und Kohle können sich viele nicht leisten. In Kundus sammeln die Frauen deshalb im Sommer Kuhfladen und trocknen sie. Mann muss aufpassen, dass sie nicht nass werden, sonst kann man sie nicht mehr verheizen. Winter ist für afghanische Kinder und Frauen eine besonders stressige Zeit.

Der erste Schnee hat aber auch gute Seiten, selbst in Afghanistan, etwa den Brauch Barfi: Kinder wie Erwachsene sammeln dann Schnee, formen einen Ball und verpacken ihn, so dass es nach einem Geschenk aussieht. Man geht dann zu Nachbarn oder Verwandten, klopft an die Tür, und wenn jemand aufmacht, versucht man, sein "Geschenk" zu übergeben. Nimmt der Empfänger es an, muss er ein Fest geben, wenn er den Streich aber durchschaut, darf er dem Boten das Gesicht mit Kohle anmalen. Das Gelächter und die Schadenfreude sind dann groß, der Überbringer muss jetzt selbst ein Fest geben. Wer kein Geld hat, sollte sich diesen Scherz also gut überlegen.

Als neulich der erste Schnee fiel, fuhr ich zu einer Tante, eine Afghanin, die seit 15 Jahren in München lebt. Ich bin noch nicht so lange da, also klingelte ich bei ihr und überreichte das Barfi-Paket. Die Tante war stinksauer, weil der Schnee im beheizten Zimmer den Karton durchweichte, und so der Boden nass wurde. In München wird die Wohnung nie nass, deswegen fand sie den alten afghanischen Streich nicht lustig. Wahrscheinlich gewöhnt man sich mit der Zeit daran, dass einem hier so etwas erspart bleibt.

© SZ vom 18.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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