Neuaubing/Westkreuz:Lokale Hilfe gegen Abzocke

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Das Projekt "Verbraucher stärken im Quartier" klärt über Verkaufsfallen auf, etwa bei Handy-Verträgen

Von Ellen Draxel, Neuaubing/Westkreuz

Über unverständliche Formulierungen in Verträgen hat sich jeder schon mal geärgert. Weil sie in für Laien kaum nachvollziehbarem Juristendeutsch verfasst sind, haben selbst Menschen, deren Muttersprache Deutsch ist, häufig Probleme, einzelne Klauseln in Miet- oder Handyverträgen zu verstehen. Umso schwerer tut sich, wer die deutsche Sprache nicht von klein auf gelernt hat, sich in rechtlichen Fragen kaum auskennt und vielleicht aus einem anderen Kulturkreis stammt. Zwar gibt es am Goetheplatz eine Verbraucherzentrale, die Bürgern zur Seite steht. Doch den Verbraucherschützern ist bewusst, dass viele Menschen diesen Weg nicht auf sich nehmen - weil sie schlecht zu Fuß sind, wenig Zeit oder Geld haben, sich im Zentrum nicht auskennen.

Aus diesem Grund wurde vor ein paar Jahren das bundesweite Projekt "Verbraucher stärken im Quartier" entwickelt. Inzwischen gibt es in jedem der 16 Bundesländer ein Team, das auf Menschen zugeht, sie über Abzockmaschen und Internetkäufe aufklärt und an Behörden und Ämter weitervermittelt. In Bayern sind das Maria Stalinski und Patrick Siskov - die beiden unterstützen im Münchner Stadtbezirk Aubing-Lochhausen-Langwied seit Oktober 2019 die Bewohner.

Maria Stalinski und Patrick Siskov (links) leisten kleinteilige Aufklärungsarbeit. (Foto: privat)

"Wir leisten in erster Linie Präventions- und Bildungsarbeit", sagt Siskov. "Als wir noch durften, haben wir Gemeinschaftsunterkünfte besucht, waren im Bildungslokal, in Häusern des Programms ,Wohnen für alle' und beim Mittagstisch im Alten- und Service-Zentrum." Dort klärten die beiden ihre Zuhörer über deren Rechte als Verbraucher auf, informierten über Bindungsfristen, Reklamationen oder Verkaufsfallen in Internet und sozialen Netzwerken.

Aber dann kam Corona, möglich waren nun nur noch Aushänge, Online-Stunden und die Nutzung eines mit lokalen Partnern ins Leben gerufenen Infokanals namens "West 22 - Dein Infokanal" auf Telegram, Facebook und Instagram. "Die Pandemie hat die Situation deutlich verschärft", konstatiert Siskov.

Dabei änderte sich nichts am grundlegenden Bedarf. "Einer der Klassiker, mit dem wir es ständig zu tun haben, ist der Handykauf", sagt Siskov. "Die Leute gehen in den Store und kommen mit drei Verträgen wieder raus." Er und Stalinski raten, die Rechtsberatung der Verbraucherzentrale aufzusuchen, die für wenig Geld Hilfestellung leistet. "Außerdem entwickeln wir Materialien in einfachem Deutsch und in Sprachen wie Türkisch und Arabisch. Diese nachgemachten Verträge sehen genauso aus wie die Originale, sie haben nur ein anderes Logo", sagt Siskov. "Und wir können den Leuten damit erklären, wo was steht und was es genau bedeutet."

Inzwischen gibt es in jedem der 16 Bundesländer ein Team, das direkt vor Ort auf die Menschen zugeht, sie über Abzockmaschen und Internetkäufe aufklärt und an Behörden und Ämter weitervermittelt. Hier geschieht es mit dem "Info-Radl". (Foto: privat)

Ein anderes Problem, das dem Verbraucherschutz-Team häufiger begegnet, sind Käufe in gefakten Internetshops. "Da wird eine Ware bestellt und bezahlt, aber nie geliefert." Stalinski und Siskov können das Geld in der Regel zwar nicht wiederbeschaffen, sie können aber sensibilisieren und aufklären. "Wenn ein Produkt, das beim Hersteller 150 Euro kostet, plötzlich für zehn Euro zu haben ist, sollte einen das stutzig machen", erläutert Siskov. Verdächtig sei auch, wenn Impressum und AGB fehlen oder "komisch formuliert" sind.

Derzeit aktuell sind laut Siskov vor allem Schwarzmarktgeschäfte mit Schnelltests und Impfungen. Schwierigkeiten gibt es aber auch mit Reiseveranstaltern, die vor Corona bezahlte Reisen nicht erstatten wollen, obwohl diese nie angetreten wurden. Oder mit Fitnessstudios, die Beiträge einzogen, obwohl kein Sport ausgeübt werden konnte. "In solchen Fällen hilft meist schon ein Schreiben mit dem Logo der Verbraucherzentrale."

Spätestens im Sommer, hofft das Münchner Duo, kann es wieder selbst vor Ort präsent sein. Mit Sprechstunden von 14 bis 17 Uhr montags im Stadtteilladen an der Friedrichshafener Straße 11 und mittwochs an der Wiesentfelser Straße 68. Mit einem offenen Verbrauchercafé einmal wöchentlich im Freihamer Freiluftgarten. Und mit persönlichen Besuchen in den Einrichtungen. Das Sommer-Ferienprogramm "Little West" für Kinder in Neuaubing hat das Team schon 2020 aktiv mitgestaltet. "Wir haben Bildungseinheiten zum Thema ,Mein erstes Taschengeld - wie gehe ich damit um' gemacht. Und wir haben ein Haus aus Pappe aufgestellt, um Energiesparmöglichkeiten im Alltag zu erläutern." Dieses Angebot möchten Stalinski und Siskov heuer wiederholen, am besten gepaart mit einem zweiten für ältere Jugendliche geschnürten Paket, das sie gemeinsam mit der Stiftung "Kick ins Leben" offerieren. "Dafür haben wir drei Nachmittage vorgesehen, an denen wir einen Rundumschlag zum Thema Selbständigkeit planen", sagt Siskov. Schwerpunkte sind Fragen wie "Wie finde ich meine erste eigene Wohnung in München?", "Wie funktioniert Haushaltsplanung?" und "Welche Kosten kommen auf mich sonst noch zu, etwa durch Strom und Telefon?".

Das Verbrauchercafé in Freiham besuchen Stalinski und Siskov mit ihrem Infomaterial genauso wie den Stadtteilladen. (Foto: privat)

Und danach? Das Quartiersprojekt im Sanierungsgebiet Aubing-Neuaubing-Westkreuz läuft definitiv bis 2023, der Modellversuch ist auf vier Jahre angelegt. Marion Zinkeler, Chefin der Verbraucherzentrale Bayern, hat aber bereits signalisiert, dass sie das aufsuchende Angebot gerne dauerhaft verankert wissen würde. Die Finanzierung ist allerdings noch zu klären.

© SZ vom 15.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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