Nachruf:Er war einmalig

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Musiker und Veranstalter Georg Hörtnagel ist am 1. Mai gestorben

Von Harald Eggebrecht

Wer oft in den Konzerten der Reihe "Kammermusik der Nationen" im Herkulessaal saß, kannte diesen so diskreten wie unvermeidlichen Moment: Das, sagen wir, Beaux Arts Trio, hatte gerade angefangen, da öffnete sich am Ende des Ranges neben der Orgel die Tür und herein schlüpfte die kräftige Gestalt Georg Hörtnagels, der gleich Platz nahm und zuhörte. Jetzt erst hatte das Konzert begonnen. Die Szene gehörte für jeden Kammermusik-Fan zu den Schlüsselmomenten im Münchner Musikleben, das dieser vitale Musiker als Veranstalter und Agent mehr als ein halbes Jahrhundert geprägt hat wie kein zweiter.

Bauer sollte der in München geborene Bub in Kammach im Allgäu werden wie der Vater, aber schon mit sechs Jahren kannte sich der "Schorsch" auf dem Akkordeon aus, bald kam die Orgel dazu, jedoch die vom Nachbarort, denn die Kammacher sperrten ihre ab, weil der Bub nur Strom verbrauche. Er lernte alle Blechblasinstrumente spielen, auch Geige und Cello. Mit 14 Jahren machte er heimlich die Aufnahmeprüfung am Augsburger Konservatorium, der Direktor riet wegen der "Bauernpratzen" zum Bass. Gleich nach dem Krieg, in dem Georg Hörtnagel beim Arbeitsdienst und in der Gefangenschaft all diese Kenntnisse nutzen konnte, spielte er in amerikanischen Jazzkneipen und gewann das Probespiel bei der Bayerischen Staatsoper unter Georg Solti. Auf einem Foto sitzt am Dirigierpult ein älterer Herr, Solti assistiert und hinten sieht man den jungen Hörtnagel am Bass. Der Mann am Pult ist Richard Strauss. Auch den einzigen Auftritt Bruno Walters nach 1945 hat er beim Staatsorchester miterlebt. 1967 zwang ihn eine Handverletzung zur Aufgabe.

Nun begann das zweite Leben als Konzertveranstalter, er wurde Heger und Pfleger von empfindsamen Genies wie Arturo Benedetti Michelangeli, der ihm vertraute, weil er Musiker war und nicht wendiger Feld-, Wald- und Wiesen-Agent. So konnte er mit allen Eigensinnigkeiten umgehen, weil er um die Sensibilität von seinesgleichen wusste. Viele Jahre organisierte er den deutsch-russischen Musikaustausch, alle hat er hergeholt von Swjatoslaw Richter bis zu Mstislaw Rostropowitsch. Nebenbei hat er Dirigieren erlernt, vier Jahre war er erster Gastdirigent in Jekaterinburg und in Posen hat er die "Zauberflöte" auf Polnisch mit deutscher Partitur geleitet.

Außerdem hat der außerordentliche Mann dafür gesorgt, dass eine spezielle Fischart sehr berühmt wurde, die Forelle nach Art Franz Schuberts. Dessen Forellenquintett hat Hörtnagel rund 800 Mal mit dem Kontrabass gespielt, etwa mit dem Amadeus-Quartett, dem Beaux Arts Trio oder Solisten wie Swjatoslaw Richter. Am besten, fand er, sei es mit Benjamin Britten am Klavier in Aldeburgh gelungen. Es gebe in diesem Stück, "Kantilenen, für die sich Schubert, der Schuft, manchmal die tiefste aller Möglichkeiten ausgesucht hat. Diese tiefen Kantilenen sind heikel, wenn man sie schön spielen will." Er hat sie lebendig artikuliert und geistvoll phrasiert.

Er hat sich als Veranstalter als Außenseiter gesehen, weil er Musiker blieb. Niemand hat den Riesensack voll Musikerflöhe besser gehütet als er. Erzählen konnte er von ihnen wie keiner. Wer ihn erlebt hat, wird ihn nie vergessen, einen wie ihn wird es nie wieder geben. In der Nacht zum 1. Mai ist Georg Hörtnagel mit 93 Jahren gestorben.

© SZ vom 04.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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