Nachruf:Die Stimme der Armen

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Walter Lorenz starb nach kurzer, schwerer Krankheit im Klinikum Bogenhausen. (Foto: Catherina Hess)

Walter Lorenz, bekannt als "Tee-Walter", ist am Donnerstag gestorben

Von Monika Maier-Albang

München - Hätte es sein Körper zugelassen, Walter Lorenz wäre die Tour sicher gern noch einmal mitgefahren, seine Tour. Zum Angerkloster, zum Haus Mechthild und am Wochenende auch zu den Niederbronner Schwestern an der Buttermelcherstraße, um die belegten Brote und die befüllten Thermoskannen abzuholen. Dann an die Stellen, wo die Männer und auch ein paar Frauen darauf warten, dass der Bus kommt, der jeden Abend Essen bringt, heißen Tee und ein paar warme Worte, was in diesem Fall mehr ist als eine Plattitüde. Denn die Worte - und die Begrüßung per Handschlag, auf die Walter Lorenz Wert legte - sie sind für viele der Wartenden ein Anker in die Welt der anderen. Und manchmal oft die einzige Berührung am Tag, die sie geben und die sie zulassen können.

Walter Lorenz, der "Tee-Walter", ist am Donnerstagnachmittag im Alter von 75 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit im Klinikum Bogenhausen gestorben. Er war über Jahrzehnte Beistand und Fürsprecher der Münchner Obdachlosen. Lange ist er selbst zu ihnen gefahren, um sie zu versorgen. Mit dem Fahrrad zunächst in den Achtzigerjahren, dann mit dem Moped, später mit einem Kleinbus, der "Möwe Jonathan", die es heute noch gibt. Ein flotter Sprinter ist es mittlerweile, der jeden Abend bei Wind und Wetter Stationen in der Innenstadt anfährt. Längst ist diese Arbeit auf viele Ehren- und ein paar wenige Hauptamtliche verteilt; Walter Lorenz war seit 2016 nicht mehr fit genug dafür. Sie wird also weitergehen, nach seinem Tod. Wie auch sein Lebenswerk fortbestehen wird, das ja mehr ist als Tee-Ausfahren.

Es gibt das Haus an der Pommernstraße in Milbertshofen, das ehemals Obdachlosen zum Zuhause geworden ist. Dazu die Wohnungen auf den Schrederwiesen in Ludwigsfeld. Dort unterhalten seine Mitstreiter einen Flohmarkt, der die Häuser finanziert. Auch die Männer, die hier leben, arbeiten mit. Sie sollen so zurückfinden in einen geregelten Alltag, soweit es ihnen möglich ist. Die Brote und der Tee auf der Straße, sie sind kein Almosen, sie sind ein Kontaktangebot. Und die Pommernstraße, wo man sich duschen, aufwärmen, reden kann, sie ist das Ankerzentrum - wenn man dem Wort mal eine positive Bedeutung geben will.

Lokführer war Walter Lorenz, bis er seine Berufung fand. An einem Wintertag, der so kalt gewesen sein muss wie häufig in diesen Wochen, ging er mit Kuchen, den ihm seine Schwester geschenkt hatte, durch die Fußgängerzone. Er wollte nach Hause. Da sah er zwei Bettler, "zusammengekauert, wie erstarrt", so erzählte er einmal Karin Friedrich, der großen Sozialreporterin der Süddeutschen Zeitung.

Das Bild des kauernden Mannes, es wurde zum Symbol des Vereins "Schwestern und Brüder des Heiligen Benedikt Labre". Und Walter Lorenz, der Mann mit dem Holzkreuz vor der Brust und dem schlohweißen Rauschebart, er gab den Obdachlosen Gesicht und Stimme. "Der Gedanke kam ihm ganz selbstverständlich, dass sie den Kuchen besser brauchen könnten, und er gab jedem die Hälfe", schrieb Karin Friedrich 1985 in der SZ: "Die Blicke, sagte Walter, mit denen sie ihm dankten, werde er bis an sein Ende nicht vergessen. ,Sie waren voller Liebe und dahinter sah ich etwas von der größeren Liebe'."

Diese größere Liebe, die er als Liebe Gottes interpretierte, hat er weitergegeben. Knorrig manchmal, und immer recht bestimmt. Wie ein Mensch halt, der eine Mission hat - und ein unerschütterliches Gottvertrauen. Der andere überzeugen kann von seiner Überzeugung, wie seine zwei langjährigen Weggefährtinnen, die sich entschlossen haben, ihr Leben mit dem Tee Walter in der Pommernstraße zu verbringen. Weil auch sie es als sinnstiftend empfinden, für andere da zu sein. Für "unsere Freunde von der Straße", wie Walter Lorenz sie genannt hat. Er, der ihr Freund war.

© SZ vom 16.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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