Musical "Hairspray" im Deutschen Theater:Doppelt verjährt

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Gar nicht ausgeflippt, mäßig lustig, doppelt verjährt: Hairspray, die Provinzplotte über Rassendünkel und den Triumph von Zivilcourage, hat im Deutschen Theater Premiere gefeiert.

Eva-Elisabeth Fischer

Es ist wesenstypisch für weibliche amerikanische Teenager, bei jeder Gemütsregung zu kreischen - im wirklichen Leben wie auf der Bühne. Unter diesem Aspekt bekommt die Ankündigung "Hairspray" als "quietschbunt" tiefere Bedeutung.

"Quietschbunt": Hairspray am Deutschen Theater. (Foto: rup)

Sooo bunt ist die Inszenierung des 80er-Jahre-Musicals durch Andreas Gergen allerdings nun auch wieder nicht. Und schon gar nicht ausgeflippt, auch nur mäßig lustig, eher biedere, sauber polierte Routine mit ein paar nett choreografierten, lässig-schmissigen Madison-, Jazz-Dance- und hüftkreiselnden R & B-Nummern.

Das liegt möglicherweise nicht einmal daran, dass unser wackeres Hauptdickerchen Tracy Turnblad statt eines toupierten, Haarspray-fixierten Frisurungetüms auf dem Kopf ein rosa Schleifchen vor der Stirn trägt. Aber immerhin kein Brett.

"Hairspray" ist leider - und darüber könnte nur unwiderstehlicher musikalischer und inszenatorischer Drive hinwegfegen - doppelt verjährt. Die Provinzplotte über Rassendünkel und den Triumph von Zivilcourage spielt in Baltimore im Jahr 1962, Kennedy lebt, und Martin Luther King träumt noch.

Besagte Moppel-Tracy erkämpft mit ihren schwarzen Freunden, die zu jener Zeit noch Neger hießen, dass sie in einer TV-Show, bei der eine Art Hairspray-Königin gekürt wird, gemeinsam tanzen dürfen.

Das machen Dicke und Schwarze schon lang. John Waters drehte seinen trashigen, affenscharf überzeichneten Film 1988, das war vor pc, vor political correctness, dafür aber in den Hochzeiten von Aids und Schwulenprotest. Dass Tracys monströse Mum en travestie als schrille Tunte gespielt wurde, klatschte den dekorativen Sahnegupf auf den turbo-überdrehten Trash.

Heute haben wir Beth Ditto, sie ist alles in Personalunion (bloß nicht schwarz). Im Deutschen Theater haben sie immer noch "Hairspray"

Zu sehen bis zum 22. Juli.

© SZ vom 06.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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