Münchner Momente:Vorsicht, Knallpilze!

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Im Bairischen gibt es viele schöne Beschimpfungen, die die neue Debatte über Heizpilze echt bereichern könnten

Kolumne von Stefan Simon

Die Pilzsaison hat begonnen. Doch bei der Suche nach Schopftintlingen, Steinpilzen und natürlich Reherln ist es in diesem Jahr besonders wichtig, nicht aus Versehen etwas einzusammeln, das man besser an Ort und Stelle gelassen hätte. Schon der Räuber Hotzenplotz musste leidvoll erfahren, wie schnell eine Knallpilzsuppe die Kleinkriminellenkarriere ruiniert; ehe sein dicker Bauch platzte, ging er lieber in den Bau. Natürlich gibt es in Wahrheit keine Knallpilze, nicht einmal drüben in der Märchenwelt, aber das Beispiel lehrt: Schon die bloße Vorstellung von ihrer Existenz reicht manchmal aus. Knallpilz der Saison in diesem Sinne ist der Heizpilz: Es gibt ihn gerade nicht, weil es ihn nicht geben darf, und doch liegt er ziemlich vielen ziemlich schwer im Magen.

Der Boletus calefacientis lebt in München fast nur noch in Kellern und Lagern, wäre aber bereit, jederzeit und überall wie wild aus dem Boden zu schießen: vor Bars, Cafés und Restaurants, auf Plätzen und auf Bürgersteigen - an jedem Ort, wo Menschen nach Wärme suchen, wenn sie schon keine Nähe finden dürfen. Knackt das Coronavirus nach der Immunabwehr auch das Münchner Heizpilzverbot? Man sieht die Abwehrkräfte schwinden. Und mancher wird am Ende eines entsagungsreichen Jahres allzu gerne aufgeben. Stehen wir am Beginn eines mykothermen Zeitalters, und das Ende naht? Oder haben nicht vielmehr das Homeoffice und der Urlaub dahoam mehr Kohlendioxid gespart, als man je durch Heizpilze in die Nacht strahlen könnte?

Die Knallpilz-Rhetorik jedenfalls ist schon da: "No Rights for Heiz" fordert eine Online-Petition. Bisher ohne rechten Erfolg, aber sollte sich das ändern, wird es sicherlich nicht lange dauern, bis der Erste vor Gericht seine Freiheizrechte durchsetzen will. Irgend so ein Schwammerl klagt ja immer, siehe Alkoholverbot. Apropos Schwammerl: Eine schöne bairische Beschimpfung, auch weil kaum einer sie als solche erkennt. Aber das Pilzlexikon kennt sogar noch Besseres: Grubenlorchel! Schleimrübling! Fransiger Wulstling! Warziger Drüsling! Klingt alles nach Beleidigung, wächst aber einfach nur im Wald. Doch: Contenance, liebe Münchnerinnen und Münchner! Ist die Heizpilzdebatte erst einmal vergiftet, hilft auch der Pilznotruf nicht mehr.

© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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