Münchner Momente:Triumph des Umlandbürgers

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Menschen, die im Speckgürtel von München wohnen, werden gern belächelt. Derzeit sind sie aber im Vorteil, wenn auch nur kurz

Von Christian Krügel

Der Umlandbewohner hat es ja noch immer nicht leicht unter all den arroganten Münchnern. Inzwischen hat zwar sogar der Oberbürgermeister begriffen, dass er uns Menschen im angeblichen Speckgürtel braucht, um seine Wohnprobleme in den Griff zu bekommen. Trotzdem wird man noch von schnöseligen Schwabingern und Maxvorstädtern permanent schräg angeschaut, wenn man gesteht, 150 Meter jenseits der Stadtgrenzen zu wohnen, in einer blühenden Gartensiedlung zwar, aber halt nicht mehr auf geheiligtem Münchner Boden. Mit dem Wegzug aus der Landeshauptstadt hat man bei diesen Menschen offenbar das Recht verwirkt, ernst genommen zu werden. S-Bahn-Störung? MVV-Preise? Dauerstau auf der A 99? "Wärst halt in der Stadt geblieben", heißt es dann nur, und irgendwo findet sich dann gewiss noch ein Komiker, dem Witze zu Autokennzeichen mit drei Buchstaben einfallen.

In diesen Tagen schlägt aber die Stunde des Triumphs des Umland- über den Stadtmenschen. Letzterer ist derzeit dem nervlichen Zusammenbruch nahe, weil er mehrere Tage in irgendwelchen düsteren KVR-Wartefolterkammern, sogenannten Bürgerbüros, zubringen muss. Völlig vergeblich versteht sich. Denn die Münchner Stadtbürokratie erklärt ihm dann, dass sie zwar die coolste, hippste, trendigste City der westlichen Hemisphäre verwaltet. Nur leider ist sie nicht in der Lage, den nötigen Ausweis innerhalb eines halben Jahres auszustellen.

Der Umlandbürger schlendert derweil abends um sechs mit der Tochter ins Rathaus seiner Gartenstadt und beantragt bei der netten Dame des Einwohnermeldeamts einen Kinderausweis. Die erklärt ihm, dass er selbstverständlich am nächsten Morgen um 8 Uhr das Dokument abholen kann. Und tatsächlich überreicht sie ihm tags darauf gut gelaunt die Papiere, während draußen die Vögel in den Gartenstadt-Bäumen zwitschern. Ein großartiger Moment für den Umlandbürger: Jetzt weiß er, dass er mit dem Wegzug aus Moloch-München doch alles richtig gemacht hat. Leider ist das nur ein kurzer Moment. Denn dann steigt er in die S-Bahn.

© SZ vom 31.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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