Münchner Momente:Stunde der Stille

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Die Welt und ihre Menschen sind in diesem Jahr ganz bestimmt nicht besser geworden. Deshalb sollte 2018 unbedingt anders beginnen als all die anderen Jahre. Ein Vorschlag

Kolumne von Stephan Handel

Übrigens geht es dieses Jahr mal anders rum: zuerst die guten Vorsätze, dann die Geschenke. Beziehungsweise sind die guten Vorsätze heuer keine Vorsätze, sondern Wünsche, ein einziger Wunsch, um genau zu sein. Dieser Wunsch möge bitte zu Weihnachten erfüllt werden, geschehen würde er dann am Jahreswechsel.

Es war ja anerkanntermaßen das Jahr 2017 ein grauenvolles, und da muss man nicht mal an Trump oder die AfD denken. Es reicht, sich eine Viertelstunde bei Facebook umzuschauen oder in einer anderen manierenfreien Online-Zone, um festzustellen, dass die Welt und ihre Menschen in den vergangenen 365 Tagen ganz bestimmt nicht besser geworden sind. Wer dafür noch einen Beweis bräuchte, der möge in diesen Tagen versuchen, unfallfrei über den Marienplatz oder eine Kaufhaus-Rolltreppe hinauf zu kommen. Deshalb die Bitte, der Wunsch, der Vorschlag: An Silvester, wenn's Mitternacht schlägt, dann wird dem nigelnagelneuen Jahr als erstes eine Stunde angefügt. 60 Minuten, die aber bitte nicht genutzt werden, um Feuerwerksverbrauch, Alkoholspiegel oder Nachbarschaftshass zu steigern, sondern für eine Stunde der Stille. Eine Stunde des Nachdenkens, der Einstimmung auf das Kommende. "Vielleicht mag Nichtstun einmal, vielleicht ein großes Schweigen diese Trostlosigkeit unterbrechen", schrieb Pablo Neruda vor vielen Jahrzehnten, aber ausprobiert hat's bis jetzt noch niemand.

Man stelle sich diese Silvesternacht vor. Stille auf der Theresienwiese. Auf der Reichenbachbrücke schaut ein Pyromane plötzlich den anderen an. Am Friedensengel erkennen die Menschen, wie gut sie's hier eigentlich haben, und wie dankbar sie sein müssten. Dann ist die Stunde auch schon vorbei, und das Jahr 2018 kann beginnen. Jede Wette: Es wäre ein friedlicheres, liebevolleres, schöneres als das, das jetzt zu Ende geht.

© SZ vom 12.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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