Münchner Momente:Sauber, schön, schmutzig

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Zwei U-Bahn-Waggons als Kulturstätte auf dem Viehhof sind nur der Anfang. Die Umnutzung von Nahverkehrsmitteln bietet noch viel Potenzial

Kolumne von Udo Watter

Viele Menschen halten München für eine schöne Stadt. Teuer, ja - einer aktuellen Studie zufolge blättern Studierende in der Landeshauptstadt mit 630 Euro im Schnitt pro Monat deutschlandweit am meisten für die Miete hin -, aber dafür dürfen sie eine Lebensqualität genießen (oder aus der Nähe beobachten), die ihresgleichen sucht. Dass der Begriff "Lebensqualität" wahrscheinlich von Unternehmensberatern erfunden wurde, damit mittelmäßige Weltstädte in Umfragen auch mal spitze sind, wissen sie ja nicht.

Freilich stellt sich die Frage: Ist München schön genug, um es sich leisten zu können, so sauber zu sein? Menschen, die auch drinnen Wollmützen tragen, Performances in den Kammerspielen anschauen und eher selten das Wort "Aufenthaltsqualität" in den Mund nehmen, dürften das verneinen. Aus Sicht der Coolen und Kreativen ist München nicht schmutzig genug und natürlich fehlen hier auch die Räume für die Subkultur.

Das hat sich in dieser Woche - optisch spektakulär - verändert. Daniel Hahn, Betreiber des "Bahnwärter Thiel", der ja schon das Ammersee-Traditionsschiff "MS Utting" surrealistisch anspruchsvoll auf die Sendlinger Eisenbahnbrücke platziert hat, hat jetzt zwei ausgemusterte U-Bahn-Waggons erworben, die künftig in der Kulturstätte am Viehhof als Kantine und als "Openworkspace" auf vier Meter hohen Säulen fungieren. Damit soll aber noch nicht Schluss sein. Hahn kündigte an, dass er auch noch eine Trambahn erwerben wolle, des Altmünchners liebstes Vehikel überhaupt. Warum aber nicht auch noch einen Linienbus, um dieser in der Stadt unterschätzten Gattung der öffentlichen Verkehrsmittel neue Reputation einzuhauchen? Man könnte wunderbar subversive Knirschkonzerte mit dem Faltenbalg im Gelenk inszenieren. Der Ansatz, ausrangierte Verkehrsmittel weiter zu nutzen, ist im übrigen so nachhaltig wie doppelbödig: Hauptmanns Novelle "Bahnwärter Thiel" handelt ja symbolisch von der Angst vor dem Maschinenzeitalter, thematisiert eine Bedrohung, die sich heute ins Digitale verlagert hat. Indem man sie umnutzt zur Stätte der Subkultur, wird die Maschine zum Freund. Und München ein bisschen schöner, vielleicht sogar schmutziger.

© SZ vom 10.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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