Münchner Momente:Im Schein des Baukrans

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Alles glitzert in der Adventszeit, das Beleuchtungs-Wettrüsten scheint nicht aufzuhalten zu sein. Doch neuerdings ist in München Bizarres zu sehen

Von Günther Knoll

Als Thomas Mann in seiner Novelle "Gladius dei" leichtsinnigerweise den Satz "München leuchtete" prägte, konnte er - abgesehen davon, dass er einen Sommertag in der Isarmetropole beschrieb - noch nichts wissen von LED und Acryl. Es gab damals weder Lichterketten noch blinkende Rentiere, die heute längst allgemeine Illuminationskultur sind. In der Maximilianstraße handhabt man es besonders edel, dort ersetzen Kristallleuchter die schnöden Straßenlaternen. Das ist weniger dem Umstand geschuldet, dass die Münchner Manns Satz als kategorischen Imperativ interpretieren, als vielmehr der Tatsache, dass ein paar Weihnachtssterne einfach zu mickrig wären auf einer Einkaufsmeile, wo ein Handtäschchen zum Fest für die Liebste so viel kostet wie ein japanischer Kleinwagen.

Echte Wachskerzen am Christbaum und vielleicht noch Sternwerfer - das war früher einmal der Inbegriff von Weihnachten und für vorsichtige Familienväter der Grund, stets einen Feuerlöscher oder zumindest einen Eimer Wasser in der Nähe zu wissen. Heute wird vorgeglüht, schon Mitte November blinken die ersten Sterne aus Wohnzimmerfenstern, stehen alberne Leuchtfiguren in den Vorgärten. In den Schneeschaufel-Regalen der Baumärkte ist ja mangels Einsatzmöglichkeiten jede Menge Platz, wird eben Leuchtdekoration in allen Varianten angeboten. Und weil Kaffeeröster und Tankstellen marktbewusst ebenfalls zu Lichterketten mutieren, führt das zu einem Wettrüsten: Allüberall in der Stadt blitzt, strahlt und blinkt es, dass man schon gar nicht mehr weiß, worüber man sich aufzuregen hat: über die optische Reizüberflutung, die Glühweinwolke oder die entsprungenen Jingle Bells vom Christmas-Sampler.

Der vorläufige Clou dieser Lichtexzesse: Auch Baukräne werden in München nun festlich illuminiert. Auf einer Großbaustelle in Berg am Laim etwa ist nachts ein Phänomen zu beobachten: In geschätzten 40 Metern Höhe klebt eine Lichterstange quer am dunklen Himmel, Es ist aber nicht die noch stärker gebeutelte Verwandte der Hungerfichte vom Marienplatz, nein, Hunderte Lämpchen zieren da den Arm eines Krans. Zum Schluss noch einmal Thomas Mann: "Denn es ist doch merkwürdig, welche Verklärung die Dinge durch das Weihnachtskerzenlicht erfahren . . ."

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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