Münchner Momente:Geist schießt Tore

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Bei Fußballprofis denkt man ja, es gehe nicht um Werte, sondern um goldene Steaks und eingeflogene Friseure. Aber laut Thomas Müller stimmt das gar nicht

Kolumne von Gerhard Fischer

Andreas Wolff, der Torwart der deutschen Handball-Nationalmannschaft, hat Angst vor Geistern. Er ist 1,98 Meter groß und wiegt mehr als 100 Kilogramm (man könnte Angst vor ihm haben); er wirft seinen Körper in Bälle, die mit einem Tempo von 120 Stundenkilometern auf ihn zurasen, aber seine Seele ist von Phasmophobie geplagt, also von Geisterangst. Gut, dass Wolff einen Mannschaftssport betreibt: Ein Mitspieler hat mal erzählt, er gehe auf Reisen der Nationalmannschaft nachts zuerst in Wolffs Hotelzimmer und gucke nach, ob ein Geist da sei. Erst wenn sichergestellt ist, dass weder der tote Stalin noch ein Monster im Bett hockt, legt sich der furchtsame Wolff hinein.

Ein Münchner Schauspieler, der für ein Soloprogramm probt (und weit weniger als 100 Kilo wiegt), hat neulich erzählt, er habe von seiner Premiere geträumt. Er sei furchtbar nervös gewesen (er war von Logophobie, also von Lampenfieber geplagt), aber plötzlich sei im Traum sein langjähriger TV-Serienpartner neben ihm auf der Bühne gestanden und habe ihn an der Hand genommen.

Und ein Freund, wohnhaft in Ebersberg, träumte neulich nach einem Patzer von 1860-Keeper Hiller, er sei für das nächste Löwenspiel in Uerdingen als Tormann nominiert. Der Freund ist 55 Jahre alt, das Trikot würde spannen, und weil er wenig Haare hat, fragte er sich, ob er mit Schiebermütze oder Baseballkappe spielen sollte. 1860 gewann im Traum in Uerdingen und der neue Torwart wurde von seinen Mitspielern (es waren viele nötig) auf Händen vom Platz getragen.

Der Freund ist Anhänger der Löwen, der Schauspieler interessiert sich nicht für Fußball, Andreas Wolff ist Bayern-Fan. Was sie in echt oder im Traum erlebt hatten, den Segen der Gemeinschaft, sprach Thomas Müller am Mittwoch etwas überraschend an, als die Meisterschaft der Bayern in Bremen perfekt gewesen ist. Bei Fußballprofis denkt man ja, es gehe nicht um Werte, sondern um goldene Steaks und Friseure, die sie über Hunderte Kilometer einfliegen lassen, damit sie gut gescheitelt sind und nicht mit Schiebermütze spielen müssen. Aber Müller sagte im Weserstadion, das wie ausgestorben wirkte, dass er auf etwas ganz besonders stolz sei nach dieser komischen Geisterspielsaison; ganz besonders stolz, ihn in seiner Mannschaft erlebt zu haben: den Teamgeist.

© SZ vom 18.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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