Münchner Momente:Gefangen im Kreisverkehr

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Das Leben ist in Corona-Zeiten ein einziger Kreisel. Das gilt für den Home-Office-Menschen ebenso wie für den Elefantenjungen Otto

Glosse von Thomas Anlauf

Vor langer, langer Zeit, als die Menschen noch nicht vor kleinen Kästen saßen, um zu kommunizieren, sondern sich wahrhaftig trafen, ging es früher oder später immer um Zukunftspläne: Wohin geht es im nächsten Urlaub, oder: Was machst du denn am Wochenende? Das Wort "Urlaub" verschwindet zusehends aus dem aktiven Wortschatz, denn es ist ja nahezu kein Unterschied, ob man während der Arbeitszeit oder im Urlaub zu Hause sitzt und darauf wartet, dass sich irgend etwas ändert außer der täglichen Inzidenz. Ein Höhepunkt des Wochenendes könnte sein, sich mal wieder einen Eberhofer-Krimi anzuschauen und zum wiederholten Mal über eine der Kreiselszenen zu schmunzeln, in die der Polizist Franz Eberhofer alias Sebastian Bezzel immer wieder gerät. Eine Bekannte erzählte jüngst, dass sie diese Erfahrung einmal selbst machen wollte und deshalb mit dem E-Bike von der Schwanthalerhöhe nach Frontenhausen fuhr, wo sie dann im filmbekannten Kreisel ihre Runden drehte. Und sie begriff: Das Leben ist ein Kreisverkehr.

Ja, es geht nichts mehr vorwärts, alles dreht sich im Kreis. Was bislang nur eingeschworene Buddhisten wussten, ist nun auch bei uns im Bewusstsein angekommen. Ein Kollege etwa fährt täglich mit dem Rad von Westen in Richtung seines Büros im Münchner Osten. Auf dem Weg dorthin passiert er den Karolinenplatz, dort dreht er ein paar Runden, bis ihn der Kreisel wie ein Schwungrad hinauswirft zurück in den Westen, wo er sein Home-Office hat. Selbst Otto ist nicht davor gefeit, in diesen Zeiten seine Runden zu drehen. Der kleine Elefant aus dem Tierpark Hellabrunn macht nun nämlich schon fleißig Ausflüge, kürzlich sogar erstmals mit Mama Temi und den Tanten. Begeistert trötete und trampelte er los und stieß doch bald an seine Grenzen, die Grenzen des Geheges.

Dabei warten so viele Abenteuer jenseits des Flamingo-Eingangs. Doch Otto kennt ja nur das Elefantenhaus und die Außenanlage, das ist seine kleine Welt. Aber wenn Otto einmal größer ist, nimmt er vielleicht all seinen Mut zusammen und schreitet hinaus in die Stadt. Dann stapft er die Isar entlang, trompetet mal links, mal rechts, bis er schließlich auf dem Karolinenplatz steht. Dort rudert er dann tatkräftig mit dem Rüssel und regelt den Verkehr. Und siehe da: Wo sich seit Monaten der Pandemie alle nur im Kreis drehten, geht es plötzlich wieder vorwärts - und die Münchner atmen auf. Unsere ganze Hoffnung ruht nun auf dir, kleiner Otto.

© SZ vom 19.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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