Münchner Momente:Ein Paradies für Ratten

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Auf jeden Stadtmenschen kommen zehn Ratten. Das hat Folgen, zum Beispiel im Schlosspark Nymphenburg

Von Günther Knoll

Silbern schimmert es aus dem Gebüsch vor Schloss Nymphenburg. Erste Assoziation: Da war doch was mit einem Goldbarren im Königssee. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der vermeintliche Schatz aber als Blechkiste, wie sie etwa bei Computern und andere größeren Geräten benutzt wird, um die Elektronik zu schützen. Neugierig geworden, liest man den Hinweis auf der Box: Rattenvergrämung. Die Dinger sind im Grunde nichts anders als Fallen mit Giftködern für die Nager, die den Schlosskanal als Paradies entdeckt haben. Zum einen bieten ihnen dessen Ufer ideale Möglichkeiten zum Unterschlupf, zum anderen gibt es reichlich Nahrung, weil Einheimische wie Touristen massenhaft Brot, Semmeln, Kuchen und andere Imbissreste ins Wasser werfen, um damit die Enten und die ohnehin schon fetten Karpfen zu füttern.

Erstaunlich, dass diese Tierfreunde dabei die nicht gerade beliebten Mitesser offenbar einfach übersehen. Denn bei einer Joggingrunde abends am Kanal entlang muss man Angst haben, auf einen der graubraunen Nager zu treten, die da ungerührt von all den Läufern am Ufer nach Fressbarem suchen. Seriösen Schätzungen zufolge leben in jeder Stadt zehnmal so viele Ratten wie menschliche Einwohner. In der Regel sind es Wanderratten. Und dass man nicht mehr von ihnen zu Gesicht bekommt, liegt daran, dass sie dämmerungs- und nachtaktiv sind und überhaupt gerne im Dunkeln zugange.

Die Kanal- oder Schlossratten sind also nur so etwas wie die Spitze des Eisbergs. Man versucht sie loszuwerden, nicht etwa nur, weil sie dem majestätischem Gesamteindruck der Anlage nicht so ohne weiteres entsprechen, sondern weil die Tiere nach wie vor Überträger gefährlicher Krankheiten sein können. Vielen gelten sie deshalb auch als Inbegriff des Bösen. Anderen sind sie - in der Zuchtform als Farbratte - als Haustiere lieb und teuer. Doch auch die wild lebenden Ratten lassen sich nicht so leicht vertreiben. Sie sind schlau: So schicken sie Vorkoster los, die heldenhaft auch am Giftköder knabbern. Einen von diesen "Versuchskaninchen" lässt der Schriftsteller Rafik Schami in seiner Geschichte mit dem Titel "Das letzte Wort der Wanderratte" über Gott und die Welt räsonieren. Das gipfelt in der Frage: "Wer hat die Flüsse in Kloaken, die Städte in Müllhalden und die Meere in verseuchte Todesfallen verwandelt?" So viel ist schon mal sicher: Die Ratten waren's nicht.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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