Münchner Momente:Ein Euro für den Aufschwung

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Als nach dem ersten Lockdown die Geschäfte wieder öffnen durften, bildeten sich vor manchen Läden lange Schlangen. Die Sehnsucht nach Billigware war offenbar groß

Glosse von Stephan Handel

Jetzt wird ja bald alles wieder aufgesperrt, damit die dritte Welle genügend Platz hat, durch die Stadt zu rauschen. Dann wird es die Gelegenheit zur Verifikation eines Phänomens geben, das schon am Ende der ersten Cityschließung für Erstaunen gesorgt hat. Tatsächlich: Als im vergangenen Frühjahr die Geschäfte wieder öffnen durften, da bildeten sich die längsten Menschenschlangen vor jenen Läden, die ihre Preisauszeichung schon im Namen tragen: Am meisten, so schien es, hatten die Leute ihre Ein-Euro-Läden vermisst.

Das ist wirklich erstaunlich. Das Geschäftskonzept dieser Branche erschöpft sich darin, Restbestände aller möglichen Waren aufzukaufen, wenn diese zum Beispiel für große Warenhaus-Ketten nicht mehr interessant sind - weil sie aus der Mode gekommen sind, weil eine neue Produkt-Generation promotet werden soll, weil nicht mehr genügend Bestand vorhanden ist. Naturgemäß ist das Angebot in diesen Läden bunt, manche sagen auch: Kraut und Rüben. Aber offensichtlich hatte die wochenlange Quarantäne bei vielen Menschen eine tiefe Sehnsucht nach nicht mehr ganz blütenweißem Druckerpapier, Küchenwerkzeugen aus Plastik und aus Asien sowie gerahmten Fotografien der Golden Gate Bridge erzeugt: Geduldig warteten sie draußen vor der Tür, weil nur wenige Käufer gleichzeitig eingelassen werden durften - Hygienekonzept.

Ob das nun bald wieder so sein wird? Wäre vielleicht ein interessantes Thema für eine soziologische Untersuchung: "Der Einfluss längerer Isolation auf das anschließende Kaufverhalten". Das andere relevante Kaufverhalten war im übrigen ungefähr zur gleichen Zeit hauptsächlich in der Innenstadt zu sehen: Dort bildeten sich Schlangen vor den T-Shirt-Läden, Schlangen, die ausschließlich aus 16-jährigen Mädchen zu bestehen schienen. Sie und die Ein-Euro-Shopper - sie haben die Wirtschaft wieder in Gang gebracht, auf sie wird auch dieses Mal verlass sein.

© SZ vom 02.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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