Münchner Momente:Die Bruchbude lebt

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In der Stadt sind überall Gerüste und Baustellen zu sehen. Das kann man traurig finden - oder positiv, denn das spricht für einen gewissen Aufbruch

Kolumne von Dominik Hutter

Man kann es so und so sehen. Einerseits ist München derzeit eine ziemliche Bruchbude: Massenweise S- und U-Bahn-Stationen, deren nackte und nicht immer ansehnliche Wände Einblicke in die konstruktiven Besonderheiten der offenkundig nicht mehr taufrischen Bauwerke ermöglichen. Viele sehen schon seit Jahren aus, als gelte es, den Gruselfaktor des Alltags zu erhöhen. Dazu überall Baustellen und Gerüste, vom Königshof über Marienhof und Hauptbahnhof bis hin zum Viehhof. Und wer schon einmal den Slalom zwischen den Baustellenabsperrungen am Bahnhofplatz gewagt und erfolgreich gemeistert hat, darf sich nicht nur den Titel Pfadfinder des Monats sichern. Sondern hat obendrein erspechten dürfen, was da alles unter unseren Füßen verläuft und in welchem Zustand sich die Eingeweide dieser Stadt befinden. Die offenbar insgesamt stark reparatur- und erneuerungsbedürftig ist. Traurig eigentlich.

Andererseits spricht all dies natürlich auch für einen gewissen Aufbruch. Für Positives. Man setzt auf die Zukunft dieser Stadt, investiert, und lässt nicht in DDR-Nostalgie alles vergammeln und zusammenkrachen. In München geht es voran, könnte das heißen, die Bruchbude lebt. Eine solche Divergenz der Botschaften ist grundsätzlich attraktiv, das gilt für Städte wie für ihre Bewohner. Welcher Münchner will nicht gleichzeitig lustig und empathisch-tiefgründig sein? Stark, aber fähig zur öffentlichen Gefühlsregung. Reich, aber bescheiden. Offen für den Fortschritt und gleichzeitig Fan des bäuerlich-traditionellen Partyfummels. Solche Pole wirken stets interessant, und das will man ja sein, um bei der Suche nach Freunden oder Partnern nicht leer auszugehen.

Gut möglich also, dass das Münchner Prinzip der zukunftsorientierten Bruchbude von Tourismusexperten ausgebrütet wurde, um die Zahl interessierter Gäste hochzujazzen. Widersprüche ziehen an, im Magnetismus wie im Konkurrenzkampf der Städte. Fragt sich nur: Ist das gut? Und damit gleichzeitig schlecht? So erfolgversprechend wie hoffnungslos? Antwort: egal. Oder eben auch nicht.

© SZ vom 09.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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