Münchner Momente:Der Duft der Krise

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Die Mission der Duftbäume galt anfangs nur Amerikas kaselnden Milchtransportern. Doch mit dem Erfolg wuchsen die Wünsche

Kolumne von Stefan Simon

Bald wird man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen - vor Bäumen, die gestorben sind. Der Klimawandel setzt fort, was der saure Regen alleine nicht geschafft hat. Die Forste sind im Trockenstress, und noch nie war der Zustand der Kronen so schlecht wie jetzt, warnt der Bund Naturschutz und fordert eine Waldwende. Nicht auszudenken, wenn der Perlacher Mugl sich irgendwann nur noch über ein weites Ödland erhöbe und die Wildschweine im Forstenrieder Park kein Unterholz mehr hätten, um daraus hervorzubrechen. So weit, so schlimm, doch es kommt noch schlimmer. Bisher dachte man, wenigstens ein Baum sei vor alldem sicher, doch dann kam dieses Virus.

Der arbor spirans hat es zwar in Wirklichkeit nie zu einem lateinischen Namen gebracht, doch hat er Unterarten ausgebildet wie nur wenige seiner botanischen Vorbilder. Über den anfänglichen Geruch nach so etwas wie Wald ist er längst hinausgewachsen. Die Mission der Duftbäume galt anfangs nur Amerikas kaselnden Milchtransportern. Doch mit dem Erfolg wuchsen die Wünsche, und so gibt es heute "Cocktail Trees" in Sorten wie Piña Colada oder Mai-Tai und allen Ernstes eine "Rock Range" mit Citrus Flames oder einem Wild-Child-Aroma. Wonach auch immer das dann riecht: Vermutlich nicht mehr sehr nach Wald, vor allem aber nicht nach Menschen oder dem, was Menschen im Auto so tun oder gar lassen. Und das ist ja die Hauptsache.

Doch: Sag mir, wo die Bäumchen sind, wo sind sie geblieben? Gerade noch vegetierten sie tausendfach hinter Münchens Windschutzscheiben, nun baumelt da an ihrer statt der Mund- und Nasenschutz. Das ist nicht nur ästhetisch ein Problem. Vom selbst genähten Möchtegernpiratentuch bis zum echten FFP-3-Schutz sieht man alles, mit der Geradlinigkeit eines Duftbaums hält indes nur wenig mit. Wonach all das Gebaumle riecht, kann man erahnen, will es aber lieber gar nicht wissen. Die Masken dünsten aus, was in sie hineingeatmet wurde: Kaugummi, Fastfood, Tabak und eine Spur Coffee-to-go, über Wochen in der prallen Sonne hinter der Windschutzscheibe gegart. Man gewöhnt sich zwar an alles, daran aber hoffentlich nicht. Sonst gibt es bald neue Duftbäume, Sorte "Hauch des Todes".

© SZ vom 12.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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