Münchner Momente:Das Gesetz der Trägheit

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In München muss man manchmal froh sein, wenn der Verkäufer dem Kunden auch wirklich etwas verkaufen will. Nicht nur , wenn es um Wurstsemmeln geht

Kolumne Von Thomas Anlauf

Der Metzger murrt. "I hab nix mehr", knurrt er und wischt an einem grünen Tischlein vor seinem grünen Standl übers smarte Handy, ohne einen Blick für den Kunden zu haben. Der hungrige Käufer hält das für einen Scherz, die Ladentür steht schließlich offen und die Lust steht ihm nach Pfanzerlsemmel. Doch drinnen gähnt die Theke vor Leere, nur ein altes Wammerl liegt in der Warmhaltevitrine. Als der Fleischverkäufer doch sein Spielzeug weglegt und den Laden betritt, wendet sich der Hungrige schon zum Gehen und sagt, man komme wohl besser morgen wieder. "Oh mei", ruft da der Metzgersmann, "dafür bin i jetzt neiganga!"

Als Kunde in München muss man schon wissen, was ein Verkäufer will. Wer sagt, der Mann hätte einfach den Laden zusperren können, wenn er nichts mehr zu verkaufen hat, macht es sich wirklich zu einfach. Denn die Szene am Markt war vielmehr eine Demonstration von wahrer Größe. Wie einst bei Diogenes, der sich an der altgriechischen Sonne erfreute, bis Alexander der Große sich vor ihm aufbaute und fragte, wie er ihm dienen könnte. Da sprach der bescheidene Philosoph, Alexander möge ihm doch ein wenig aus der Sonne gehen.

Ja, Münchner Händler sind genügsame Philosophen. In einem Kaufhaus am Ostbahnhof geleiten die Verkäuferinnen den Kunden schon um halb acht zur Ausgangstür, der kleine Tabakladen von nebenan sperrt dafür gerne mal eine Stunde später auf. Und im Elektrogeschäft föhnt ein Mitarbeiter minutenlang alte Klebestreifen am Verpackungskarton, bis er den wartenden Kunden fragt, was er denn eigentlich hier will. Das ist eben die hohe Münchner Schule der Laden-Hüter. Selbst bei Geschäften, die besser im Dunkeln ablaufen, kennt man dieses Gesetz der Trägheit. Da stehen neulich diese jungen Männer wie jeden Abend am Parkplatz einer Ramersdorfer Wohnanlage, sie warten auf den schwarzen Bus mit frischer Ware. Doch diesmal kommt er einfach nicht. Raunt der erfahrene Käufer zum Neuling: "Hier sind die Regeln anders. Ganz anders, Mann." Das heißt so viel wie: Wer eine Wurstsemmel bekommt, bestimmt der Dealer.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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