Münchner Momente:Das Fenster zur Straße

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Was ist das größere Risiko: Bierflaschen, die an einem kalten Winterabend auf einem Fenstersims im vierten Stock stehen? Oder der Besuch bei jenen Nachbarn, die sich dieser Kühlmethode bedienen?

Kolumne Von Peter Fahrenholz

Normalerweise stehen an dieser Stelle ja eher lustige Geschichten. Heute mal nicht. Sondern eher eine, die nachdenklich macht. Und die eine Frage aufwirft, die sich viele stellen, die Zeugen einer kritischen Situation werden: Soll man aktiv werden und sich einmischen oder wegsehen, weil man selber nicht betroffen ist?

Ein kalter Winterabend. Man schaut zufällig aus dem Fenster und sieht auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf dem Fenstersims im vierten Stock vier Bierflaschen stehen. Der Sims ist gerade so breit, dass sie Platz haben. Vermutlich volle Flaschen, denn wer sollte leere dort abstellen? Das Fenster ist erleuchtet, offenbar also jemand zu Hause. Im Erdgeschoss ist eine Kneipe, ein Italiener. Viele Besucher des Kinos gegenüber holen sich hier eine Pizza, im Sommer stehen Tische auf dem Gehsteig, direkt unter dem Fenster.

Was ist, wenn eine Flasche herunter fällt und unten geht gerade jemand vorbei? Man ruft die nächstgelegene Polizeiinspektion an, schildert die Situation. Schön, dass Sie das bemerkt haben, sagt der Beamte, aber was die Polizei denn da jetzt tun solle? Hmm, vielleicht vorbeifahren, die richtige Wohnung finden, die Bewohner auffordern, die Flaschen zu entfernen. Die Antwort des Polizisten ist in ihrer Wurschtigkeit ernüchternd: Man müsse sich nun wirklich um anderes kümmern, Schlägereien, Unfälle, solche Sachen. Auch der Hinweis, hier könne leicht ein Unfall geschehen, ein Windstoß reiche ja schon, überzeugt den Beamten nicht. Er schlägt vor, man könne doch selbst hinübergehen.

Nach einigem Nachdenken unter anderem über die Aussicht, auf einen aggressiven Bewohner zu treffen, geht man tatsächlich. Bei der vierten Klingel öffnet jemand. Die Leute verstehen nicht ganz, warum Bierflaschen auf dem Sims im vierten Stock ein Problem sein sollen, holen sie aber herein. Auf dem Heimweg sieht man einen Vater mit seinem Sohn unter dem Fenster vorbeigehen, eng an der Hausmauer entlang. Der Polizeibericht tags darauf verzeichnet zur fraglichen Zeit keine nennenswerten Vorkommnisse.

© SZ vom 28.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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