Münchner Innenstadt:Eine Fußgängerzone zum Ausprobieren

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Seit sechs Wochen ist die Sendlinger Straße für Fahrzeuge gesperrt. Autofahrer und Radler kommen damit besser zurecht als manche Anlieger.

Von Christiane Lutz

Morgens vor 10.15 Uhr ist die Welt noch halbwegs in Ordnung. Da dürfen immerhin noch die Baustellenfahrzeuge und der Paketbote unbehelligt durch die Sendlinger Straße fahren. Danach beginnt die Fußgängerzonenzeit, denn seit 1. Juli ist die ganze Sendlinger Straße Fußgängerzone. Testweise, für ein Jahr. Eine prüfenswerte Idee, könnte man meinen, in einer Stadt, die vom Auto dominiert wird. Eine Idee, die Touristen auf Nachfrage verwundert als "natürlich begrüßenswert" bewerten. Aber die Freizeitschlenderer, die machen ja nur einen Teil des Biotops Sendlinger Straße aus. Und wie immer, wenn es neue Regeln gibt, ärgern sich diejenigen am meisten, die sich plötzlich auch dran halten müssen.

Stefan Rutz zum Beispiel ist kein Fan der Fußgängerzone. Er steht an seinem Wohnzimmerfenster schräg gegenüber der Asamkirche und führt Strichliste, wie viele Radfahrer und Autos in der letzten halben Stunde durch die Straße gefahren sind, trotz Verbot. Aber statt sie als Verkehrsrowdies zu beschimpfen, freut er sich beinahe: "Sehen Sie? Das funktioniert doch gut. Die fahren ja alle angemessen und rücksichtsvoll. Diese Vorschrift mit dem totalen Durchfahrtsverbot ist dumm."

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Rutz plädiert für eine "gemischte Zone", in der Autos und vor allem Radfahrer fahren dürfen, "im Flaniertempo", mit "Bächlein, wie in Freiburg." Er lebt seit 31 Jahren in der Sendlinger Straße und fürchtet, wie viele Anwohner, dass durch die Fußgängerzone die Mieten steigen, die kleinen Geschäfte weichen müssen und eine Art Kaufingerstraße Nummer zwei entsteht, mit demselben Konsum-Allerlei.

Bei der Stadt blickt man gelassen auf die ersten sechs Wochen Fußgängerzone zurück. "Bei Kontrollen haben wir im Schnitt 20 Verstöße pro Stunde", sagt Alexander Mitterrutzner von der städtischen Verkehrsüberwachung. Das sei normal. Überdies sei die Stimmung in der Sendlinger Straße bei Weitem nicht so aufgeladen wie bei der Baustelle gleich ums Eck, dem jetzt für Radfahrer gesperrten Straßenabschnitt zwischen Marienplatz und Rindermarkt.

Er und drei Kollegen stehen im Nieselregen auf der Straße und schwingen ihre Kelle, wann immer jemand angefahren kommt. Welcher Autofahrer keine Sondergenehmigung hat - wie beispielsweise die Fahrzeuge der Baustellen in der Straße - muss zahlen. Radfahrer 15 Euro, Autofahrer 20 Euro, parkende Autos 30 Euro. "Es sind tatsächlich noch viele unwissend", sagt Mitterrutzner, "oder sie behaupten es zumindest."

Ärgerliche Unachtsamkeit

In der Tat ist die Sendlinger Straße vor allem bei schlechtem Wetter nicht auf Anhieb von anderen Durchfahrtsstraßen zu unterscheiden. Es sind wenig Passanten unterwegs, die Straße ist noch immer abgesenkt. Gewohnheit siegt da schnell mal über Aufmerksamkeitspflicht, denn natürlich weisen entsprechende Schilder bei jeder Zufahrt zur Sendlinger Straße die Fußgängerzone aus. Da ist es schon wieder passiert: Die junge Radfahrerin guckt sehr unglücklich, als Mitterrutzner sie belehrt. "Ich wollte nur kurz was einkaufen und wie immer hier durchradeln", sagt sie. Das Schild habe sie noch wahrgenommen, allerdings nicht gelesen, dass der Radverkehr nur zwischen 21 und 9 Uhr erlaubt ist. "Ärgerlich".

Kontrolleure müssen zahlreiche Radfahrer - und auch Autofahrer - belehren, die trotz Verbots die Sendlinger Straße befahren. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Anwohner Stefan Rutz würde die Frau unbehelligt weiterfahren lassen. Noch mehr am Herzen liegen ihm aber die älteren Anwohner, wie seine Nachbarin Barbara Schindler, 66. Sie hat sich das Sprunggelenk gebrochen "und musste sich nun beim KVR eine Sondergenehmigung für 15 Euro holen, damit sie von ihrem Haus mit dem Auto abgeholt werden kann." Es stimmt, auch Anwohner dürfen nicht einfach mehr so mit dem Auto oder dem Taxi anfahren.

Verwirrung bei Patienten und Kunden

Das bemängeln vor allem Patienten der zahllosen Ärzte, die in der Straße ihre Praxen haben. Mitterrutzner von der Verkehrsüberwachung beruhigt: "Kein kranker Mensch muss sich zu Fuß zum Arzt schleppen." Einige Ärzte würden schon den Antrag zur Sondergenehmigung an ihre Patienten verteilen, damit die künftig mit dem Auto kommen könnten. Aufwendiger ist das natürlich trotzdem.

Auch Jami Najib, Filialleiter des Einrichtungsgeschäfts Kare, findet, die Straßensituation verwirre die Menschen und sei auch für ihn unattraktiv: "Wenn schon Fußgängerzone, dann richtig. Dann muss die Straße eliminiert und der Abschnitt nett hergerichtet werden." So wie im oberen Teil der Sendlinger Straße, vor der Hofstatt. "Jetzt endet das entspannte Bummeln an der Ecke zur Hackenstraße, wo in der Adventszeit übrigens auch die Lichterketten enden. Viele Leute drehen dann einfach um, weil sie denken, da kommt nichts mehr." Für eine Fußgängerzone ist er bereit, auch höhere Mieten in Kauf zu nehmen. Denn die, das glaubt auch er, kommen auf jeden Fall.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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