"Wir sind auch mental ums Auto herum gewachsen." So fasst Stadtplaner Arne Lorz sowohl die jüngere Münchner Stadtgeschichte zusammen, als auch die Sozialisation des altersmäßig jenseits der Fridays-for-Future-Generation angesiedelten Publikums, dem er auf Einladung der Münchner Volkshochschule den Stadtentwicklungsplan (STEP) 2040 vorstellte. Speziell fürs Stadtzentrum zwischen Hauptbahnhof, Pinakothek, Maximilianeum und altem Südfriedhof hat Gisela Karsch-Frank, hat Lorz' Kollegin im Planungsreferat mit ihrem Team ein "Freiraumquartierskonzept" erstellt, das die Entwicklungsziele noch stärker auf Stadtgrün und hitzebeständige Planung hin konkretisiert - reichlich Diskussionsstoff boten beide Planwerke.
Der STEP 2040 löst einen längst überholten Plan von 1983 ab und lässt sich am besten online auf muenchen.de in seinen Einzelebenen erkunden, da die Gesamtansicht in ihrer Detaildichte schwer zu entziffern ist. Wie Lorz berichtet, hat die Zukunftsskizze in den Rathäusern in der Region keine Begeisterungsstürme ausgelöst, auch wenn sie keinen neuen (Auto-)Bahnring um die Stadt zieht, sondern lediglich einen ringförmigen ÖPNV-"Suchkorridor" zur Entlastung der Zentralachsen.
Ausschließlich als Leidtragende des München-Booms brauchen sich die Umlandgemeinden nach Lorz' Erkenntnissen ohnehin nicht mehr zu sehen. Schon heute würden per Saldo mehr Stadt-Münchner in den Landkreis pendeln als umgekehrt. Als überholt sehen Lorz und Karsch-Frank damit auch die Vorstellung einer im Zentrum unweigerlich grauen und dichten Stadt an, die nach außen hin immer lockerer und grüner werde. "Der Stadtrand hat in Zukunft die Funktion, dicht zu sein und Urbanität herzustellen", lautet Lorz' Postulat, das in Harlaching oder Waldtrudering wohl einen kleinen Tumult ausgelöst hätte, anders als im VHS-Bildungszentrum an der Einsteinstraße in Haidhausen.
Eher wohlwollend reagierte das dortige Publikum auch auf Karsch-Franks Komplementärthese, wonach es fürs Leitbild der "steinernen Altstadt" keine historische Referenz gebe. Im 16. Jahrhundert zum Beispiel habe jedes zweite Haus im Hackenviertel einen eigenen (Nutz)garten gehabt, so Karsch-Frank, die an einer beim Planungsreferat erhältlichen Dokumentation des teils verschwundenen Stadtgrüns mitgearbeitet hat.
Was ist wichtiger? Neues Grün oder der gewohnte Blick?
Später freilich, sollte München erst monumentale "Hauptstadt der Bewegung" werden und anschließend autogerecht. Unter anderem verschwand dabei der Anfang des 19. Jahrhunderts angelegte Sonnenstraßen-Boulevard unter dem Asphalt. Die Wiederbelebung wird derzeit heiß diskutiert und lässt sich, wie auch die Pläne für die parallele Herzog-Wilhelm-Straße, bereits per Spezialbrille in virtueller Realität bestaunen - allerdings, so die Planerin, eher in 1990er- als in Pixar-Optik.
Fraglich bleibt aus Teilnehmersicht, ob sich der Altstadtring-Verkehr wirklich an den Westrand der Sonnenstraße quetschen lässt. Außerdem hätten die Plattenwüste der Kaufingerstraße und Neuhauser Straße und der Marienplatz Abkühlung durch Baumpflanzungen noch nötiger, so ein weiterer Einwand aus dem Publikum. Diesen nahmen die Planer ebenso interessiert auf wie die Idee, Baugenehmigungen künftig so verpflichtend an Baumpflanzungen zu knüpfen wie heute an den Stellplatznachweis.
Wenig übrig hatte Lorz hingegen für Bedenken, die wassergebundenen Kies-Sandbeläge auf dem Sonnenstraßen-Boulevard könnten gesundheitsschädliche Staubwolken produzieren. "Sie wollen mir doch nicht ernsthaft verkaufen, dass das ein größeres Problem wird als der Reifenabrieb", entgegnete er einem Paar, das unter Hinweis auf die sommerlichen Zustände im Hofgarten vor neuen Staubquellen gewarnt hatte.
Den drängenderen Interessenkonflikt sah die Mehrheit der Anwesenden zwischen Klima- und Denkmalschutz heraufziehen, ob es nun um Solaranlagen auf den Dächern oder um neue Bäume vor historischen Bauten geht. Karsch-Frank findet daher eine umfassende Altstadt-Begrünung "eher schwierig" und rät dazu, sich auf Neubauten zu konzentrieren. Lorz wiederum sieht im Denkmalschutz insgesamt "nicht das große Problem", da nur für zwei Prozent des stadtweiten Gebäudebestandes gültig und letztlich verhandelbar. Irgendwann müsse man halt entscheiden, "was wichtiger ist", neues Grün oder der gewohnte Blick aufs alte Rathaus.