Glasmalerei:Mit Watte gegen Spinnweben und Ruß

Lesezeit: 3 min

Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Hanna Pohle arbeitet an den historischen Glasfenstern der Blutenburgkapelle und anderen Glasmalereien. (Foto: Catherina Hess)

Die Fenster der Blutenburg-Kapelle gelten als kunsthistorische Rarität. Nun werden sie in der Bayerischen Hofglasmalerei Gustav van Treeck restauriert. Allerdings fehlt noch Geld für diese aufwendige Arbeit

Von Ellen Draxel

Hektik ist für Hanna Pohle ein Tabu. Wenn sie den Pinsel oder das Skalpell zur Hand nimmt, um den Schätzen, die vor ihr ausgebreitet sind, neue Strahlkraft zu verleihen, tut sie dies ganz behutsam. Pohle ist Diplom-Restauratorin, sie arbeitet für die Bayerische Hofglasmalerei Gustav van Treeck. Das Münchner Unternehmen ist spezialisiert auf das Restaurieren von Kirchenfenstern und alten Glasmalereien. Derzeit aus dem Schloss Neuschwanstein beispielsweise. Oder aus der Stiftskirche in Bamberg.

An diesem Vormittag im Juni aber liegen vor der Kunsthandwerkerin messinggerahmte Fenster aus der Schlosskapelle Blutenburg in Obermenzing auf dem Tisch. Pohle schaltet das Licht der Leuchtplatte an. Sofort tritt der Wow-Effekt ein: Die Scheiben beginnen zu funkeln - in hellem Rot, warmem Gelb und sattem Blau. Trotz ihres respektablen Alters von mehr als 500 Jahren, das zeigt die Beleuchtung, scheinen die Gläser kaum etwas von ihrer Attraktivität eingebüßt zu haben.

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Die Fenster der Blutenburg-Kapelle sind einzigartig in München. Eine kunsthistorische Rarität. "Die Bedeutung dieser Glasmalereien", betont Architekt Martin Bosch von der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung, "ist außerordentlich. Das hier ist einer der wenigen vollständig erhaltenen Glas-Bilderzyklen aus der spätgotischen Zeit überhaupt." Acht Fenster, unterteilt in 16 Bildscheiben, zeigen die Passionsgeschichte vom Einzug Christi in Jerusalem bis zu seiner Auferstehung und die Verkündigung des Engels an Maria. Herzog Sigismund, der Stifter der von 1488 bis 1497 errichteten Schlosskapelle, hat zudem im oberen Teil der Glasflächen Wappen anbringen lassen. Sie sollen das Haus Wittelsbach als Mitglied des europäischen Hochadels kennzeichnen.

In der Maxvorstädter Werkstatt hat Pohle bereits eines dieser Wappen von Spinnweben und Ruß befreit. Sehr vorsichtig, mit einem Pinsel und einem speziellen Industriestaubsauger samt Asbestfaserfilter. Jetzt nimmt sie ein wenig Watte, wickelt die weiche Masse um ein Holzstäbchen und entfernt sachte sichtbare Verschmutzungen wie Farblaufspuren und Blei. "Zu lange darf ich auf dem Glas aber nicht herumreiben, sonst wird die Malerei beschädigt." Denn die Schmutz- und Vogelexkremente, die sich im Laufe der Zeit auf den Fenstern festgesetzt haben, wirken bei zu starkem Druck wie Schmirgelpapier. In einem nächsten Schritt wird die Expertin die restlichen Verunreinigungen mit einem Skalpell und einer Wasser-Ethanol-Mischung zu entfernen versuchen. Bevor sie sich dann an das Kleben der Sprünge im Glas macht.

Die kostbaren Glasfenster werden sanft gereinigt, Brüche im Blei mit Zinn gelötet und Glasrisse geklebt. (Foto: Catherina Hess)

"Die Wappen sind auf der Rückseite schon korrodiert, komplett blank kriegt man die nicht mehr", sagt Pohle. Bei den Passionsbildern sieht es besser aus. Doch auch hier finden sich Brüche im Blei, die mit Zinn gelötet werden müssen. Oder Glasrisse. In einem Ausschnitt verläuft der Glasschaden quer durch Jesus' Unterleib - da helfen nur noch Epoxidharz und Retusche. Am Schluss bekommt jedes Fenster noch eine satinierte Konservierungsscheibe. Ein Sicherheitsglas mit UV-Filter, das vor Steinschlag und Sonne schützt. Und dazu erneuerte Alarmdrähte.

Dass die kostbaren, stilistisch an die Gemälde Jan Polacks erinnernden zeitgenössischen Glasmalereien der Blutenburg-Kapelle saniert werden müssen, darin sind sich Kenner einig. "Eigentlich", sagt Oliver Schach, der als Fachrestaurator der Schlösserverwaltung das Projekt betreut, "sind bei allen Scheiben Wartungsintervalle im 30- bis 40-Jahre-Rhythmus notwendig". Die Prozedur aber ist kostspielig: Mit "deutlich mehr als 30 000 Euro" hatte die Schlösserverwaltung zu Beginn des Auftrags 2021 gerechnet. Geld, das der Behörde fehlt. Weshalb sich die Bürgervereinigung Obermenzing vor zwei Jahren bereiterklärt hatte, das Vorhaben anlässlich ihres 70-jährigen Gründungsjubiläums zu unterstützen.

Das erste Fenster baute die Firma Gustav van Treeck, 1887 gegründet und damit eine der ältesten Glasmalerfamilien der Neuzeit, im November 2021 aus. Zum Zwecke einer Mustersanierung. Inzwischen ist dieses Modellstück, das die Grablegung und Auferstehung Christi zeigt, als einziges wieder an Ort und Stelle in der Kapelle.

46 000 Euro kostet die Restaurierung, 20 000 fehlen noch

Mittlerweile ist auch klar, dass das gesamte Procedere - wie alles derzeit aufgrund gestiegener Bau- und Energiekosten - deutlich teurer wird als anfangs gedacht: Im Raum stehen nun 46 000 Euro. "Da ist dann aber alles drin", sagt Schach. Zusätzlich zur Restauration und detailgetreuen Dokumentation der Sanierungsschritte auch die Gerüste für den Ein- und Ausbau, das Vermessen der Gläser, sämtliche Transporte und die notwendigen Abstimmungen mit den Alarmanlagen-Technikern. Eingepreist sind zudem die kunsthistorische Begutachtung und Bewertung des Zyklus' durch ein Team von "Corpus Vitrearum". Dieses internationale Forschungsprojekt erfasst historische Glasmalereibestände, archiviert und publiziert sie.

Gut die Hälfte der Summe hat die Bürgervereinigung Obermenzing schon beisammen, das Geld stammt von ortsansässigen Bürgern und Vereinen. Allein der Lions-Club München-Blutenburg hat 5000 Euro gestiftet. "Rund 20 000 Euro an Spenden fehlen aber nach wie vor", sagt der Vorsitzende Frieder Vogelsgesang.

Bis zum Spätsommer, so hoffen Hanna Pohle und Oliver Schach, sollten alle Fenster fertig restauriert sein. Dann kann das Innere der Schlosskapelle wieder in neuer, alter Pracht erstrahlen.

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