München-Marathon:"Kurze Strecken sind viel zu viel Stress"

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Strenge Trainingspläne und schmerzende Knie: Warum tun sich Menschen einen Marathon an? Vier Läufer haben darauf geantwortet.

Von Anna Dreher

Wenn am Sonntag der Startschuss zum 29. München-Marathon fällt, wird es voll werden auf der Strecke. Mehr als 20 000 Läufer werden erwartet. Denn Laufen boomt. Gründe, einen Marathon anzugehen, gibt es viele.

Die Jüngste

Die Frage nach dem Warum stellt sich Natalie Kallay ziemlich oft. Auch ihre Familie und Freunde wollten die Antwort auf diese Frage nicht nur ein Mal von der 17-jährigen Schülerin aus Zürich hören. Aber sie lässt sich deswegen nicht verunsichern - nicht von anderen und nicht von sich selbst. Denn Kallay weiß ja, warum sie macht, was sie macht. "Laufen ist für mich ein Abenteuer, bei dem ich meine Grenzen überschreite und wirklich etwas erreichen kann", sagt sie. "Nach jeder Einheit habe ich ein super Gefühl." Manchmal ist der Weg zum super Gefühl aber ziemlich beschwerlich. Wenn Kallay von ihrem Wecker um 5 Uhr an den Trainingsplan für den Marathon erinnert wird, zum Beispiel. Wenn sie vor der Schule raus geht und noch niemand außer ihr wach zu sein scheint. "Da frage ich mich schon: Natalie, was machst du da eigentlich? Aber das verschwindet ziemlich schnell", sagt sie.

Die Schülerin ist die wohl jüngste Teilnehmerin dieses Jahr. Die Erlaubnis ihrer Eltern, ein ärztliches Gutachten und der baldige 18. Geburtstag machen einen Start in München möglich. Während eines High-School-Jahres in den USA hat sie das Laufen für sich entdeckt und sich den Marathon als Ziel gesetzt. Für ihre Abschlussarbeit am Gymnasium schreibt sie über ihre Erfahrung mit einem Online-Trainingsplan und Leistungsdiagnostik. Wenn sie in vier Stunden ins Ziel kommt, hat der Plan funktioniert. Dann kann sie sich auch vorstellen, bei der Meisterschaft in der Schweiz an den Start zu gehen. "Ich habe schnell gemerkt, dass ich mich für lange Distanzen begeistern kann", sagt Kallay. "Kurze Strecken sind viel zu viel Stress, da bin ich immer die letzte in meiner Schulklasse."

Die Schnellste

Das Laufen unter Wettkampfbedingungen wollte sie ja eigentlich nur mal ausprobieren. 2006 war das, bei einem Volkslauf über zehn Kilometer. Joggen ist für Silke Optekamp bis dahin eher ein gutes Training für ihre eigentliche Leidenschaft gewesen: Dressurreiten. Aber dann ist sie bei diesem Lauf auf Anhieb unter 50 Minuten gelaufen, Spaß hat das Ganze auch noch gemacht, und dann ist es passiert - Optekamp ist nicht mehr davon los gekommen. 2007 absolvierte die Zahnarztassistentin ihren ersten Halbmarathon, 2008 folgte ein Marathon. "Da hatte ich schon gemerkt, dass ich im Laufen mehr Talent als im Reiten habe", sagt sie und lacht.

Die Mönchengladbacherin lacht überhaupt viel, es macht ihr Spaß, über diesen Sport zu reden, der für sie zu einem wichtigen Lebensinhalt geworden ist: "Ich mag den Kampf gegen mich selbst. Wenn der Körper irgendwann sagt: Es geht nicht mehr, aber man trotzdem weiterläuft." 2013 war die 35-Jährige in 2:41:50 Stunden bei den Deutschen Meisterschaften in München die schnellste Frau. "Das war die Krönung meiner Karriere, mehr geht nicht als Amateur", sagt Optekamp. "Mal schauen, ob es mit der Titelverteidigung klappt, aber ich will erst mal ins Rennen reinkommen."

Der Erschrockene

Marathon in München
:Jetzt oder nie

Der erste Marathon ist ein großes Abenteuer für jeden Läufer, denn 42,195 Kilometer sind eine Distanz, auf die man sich monatelang vorbereiten muss. Auch in München starten am Sonntag wieder etliche Neulinge - und eines eint sie alle: Sie haben Respekt vor der Herausforderung, die sie sich selbst vorgenommen haben

Von Anna Dreher

Irgendwann im vergangenen Jahr hat sich Tobias Sauter auf die Waage gestellt und ist ziemlich erschrocken. Was das Display anzeigte, gefiel dem 30-Jährigen ganz und gar nicht: 20 Kilogramm Übergewicht. Er hatte schon gespürt, dass er zugelegt hatte, aber so viel? Inzwischen ist Tobias Sauter wieder bei 62 Kilo angekommen und will als Leichtgewicht auf der Waage wieder zum Schwergewicht auf der Strecke werden. Wie sich das anfühlt, weiß Sauter gut: Er hat bereits an einer Europa- und Weltmeisterschaft teilgenommen und war im Nationalkader. Seine persönliche Bestmarke von 2:17:27 Stunden erreichte er in Düsseldorf im Jahr 2009. Sauter qualifizierte sich mit dieser Zeit für die Weltmeisterschaft in Berlin.

Ein Jahr später nahm er an der Europameisterschaft in Barcelona teil. Bei 35 Grad streikte sein Körper jedoch. "Ich wäre fast kollabiert und musste aufhören", sagt Sauter. "Danach war ich gefrustet, aber der Versuch, mich mit der Brechstange zu verbessern, ging nach hinten los." Sauter wollte sich auf 2:14 Stunden verbessern. Verletzungen warfen den Schwaben aber immer wieder zurück. An alte Leistungen konnte er nicht mehr anknüpfen und verlor die Motivation.

Dieses Jahr sei es ihm zum ersten Mal wieder ernst. "Ich mache das jetzt aber eher für mich", sagt er. Nach einer Lehre zum Bankkaufmann hat er vor kurzem sein Masterstudium in Sportmanagement abgeschlossen. Wenn es am Sonntag gut läuft, will Sauter wieder richtig anfangen. Wenn nicht, soll der Laufsport ein intensives Hobby bleiben. Tobias Sauter will sich beim Blick auf die Waage nicht noch einmal so erschrecken.

Der Jubiläumsläufer

Als der München-Marathon 1983 zum ersten Mal stattfand, ging auch Fredl Brechelmacher erstmals über 42,195 Kilometer an den Start. Inzwischen ist der gebürtige Münchner ein Profi auf der Langstrecke, er hat an mehr als 60 Halbmarathons teilgenommen und im September in Frankreich seinen 50. Marathon absolviert. Vier davon in New York, drei in Berlin, dazu Wien, Zürich, Barcelona und dieses Jahr zum 29. Mal in seiner Heimatstadt, wo er noch keinen einzigen verpasst hat. Die internationalen Läufe verbindet der 53-Jährige mit Urlaubsreisen. Erst laufen, dann spazieren - so geht Städteerkundung für ihn. Laufsaison ist für Brechelmacher aber das ganze Jahr.

Fünfmal pro Woche trainiert er und nutzt sogar die Arbeitszeit zur Vorbereitung. Brechelmacher ist Briefträger: "Ich bin viel zu Fuß und mit dem Rad unterwegs und habe 59 mehrstöckige Häuser in meinem Gebiet. Da kann man gut Treppenläufe machen." Früher ist er im Jahr vier Marathons und entsprechend viele Halbmarathons zur Vorbereitung gelaufen, doch mittlerweile ist ihm das zu viel geworden. Er teilt sich das Jahr so ein, wie es typisch ist für viele Läufer: Er absolviert einen internationalen Marathon im Frühjahr und im Herbst den in München. "Solange die Knochen mitmachen, werde ich weiterlaufen."

© SZ vom 08.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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