SZ: Waldbrände, Fluten, Dürren - mittlerweile hören wir oft von Klimakatastrophen. Warum fällt es Politik und Gesellschaft so schwer, etwas dagegen zu unternehmen?
Sarah Kessler: Man nennt das auch den "value-action gap". Das heißt: Mehr Wissen führt nicht automatisch zu mehr Handeln. Das ist mittlerweile durch viele Studien belegt. Stattdessen stellt sich aber ein Gefühl der Lähmung ein. Speziell der Klimawandel ist als Thema so bedrohlich, dass sich das Gefühl einstellt: Je mehr Informationen ich habe, umso deutlicher wird mir, dass ich nichts bewirken kann. Das führt gewissermaßen zur Kapitulation oder zur Verdrängung, bei manchen auch zur Leugnung.
Also reicht es nicht, Menschen über die Folgen der Klimakrise zu informieren?
Genau. Zu sagen: Die Menschen brauchen nur genug Informationen, dann werden sie sich klimafreundlich verhalten - das ist eine Fehlannahme. Wissen ist natürlich wichtig, aber es gibt nicht diese eindeutige Beziehung. Dazu kommt, dass die Verbrauchermacht des Einzelnen überschätzt wird.
Inwiefern spielt das eine Rolle?
In Gesprächen oder in Zeitungsartikeln begegnet man häufig der Einstellung: Der Einzelne muss sich moralisch einschränken, zum Beispiel mit seinem Einkaufsverhalten. Aber das reduziert einerseits die Verantwortung: Die Gesellschaft besteht ja nicht nur aus einzelnen Personen, sondern auch aus Politik, Unternehmen oder Verbänden. Und andererseits ist mein Wirkungskreis als Individuum auch stark eingeschränkt. Wir sagen, es gibt eine Diskrepanz zwischen Verantwortungszuschreibung und Wirksamkeitserwartung. Die Akteure, denen wir die meiste Verantwortung zuschieben, beim Klimawandel aktiv zu werden, können gleichzeitig nur wenig ausrichten.
Es gibt so viele Informationen für Verbraucher. Diese können doch dann auch etwas ausrichten?
Ja, aber sie können nicht alles allein schaffen. Und zu viele Informationen können auch schaden. Man weiß zum Beispiel gar nicht mehr: Welche Informationen stimmen überhaupt? Ich müsste beim Einkaufen jede einzelne Packung überprüfen, ob das Produkt ökologisch und sozial ist. Das ist schlicht nicht praktikabel.
Wie ließe sich das ändern?
Das untersuchen wir im Moment. Das Problem gibt es ja schon ziemlich lange, genauso wie die Klimaforschung. Eine unserer Hypothesen ist: Wenn man nicht in den Blick nimmt, wie sich klimafreundliches Handeln in den Alltag integrieren lässt, wird man nicht groß weiterkommen. Dazu untersuche ich, welche Einstellungen und Meinungen es überhaupt in der Gesellschaft gibt. Ich spreche zum Beispiel mit Experten und mit Fokusgruppen, etwa Lehrern oder Landwirten, und werte Fernseh-Talkshows oder Kommentare in Sozialen Medien aus.
Wenn die Menschen nicht mehr oder bessere Informationen brauchen, was brauchen sie dann?
Eine weitere Hypothese ist: eher emotionale Botschaften. Nehmen wir zum Beispiel das Volksbegehren "Rettet die Bienen". Das war inhaltlich nicht so hoch aufbereitet, aber die Botschaft hat viele erreicht und auch beinhaltet, dass das Anliegen dringlich ist. Deswegen hat das so gut funktioniert. Klimaschützer könnten sich am Marketing ein Beispiel nehmen, um die Menschen in ihren Alltagsroutinen anzusprechen.
Ist es allein mit griffigen Slogans getan? Zu diesem Mittel können ja auch Leugner der menschengemachten Klimakrise greifen.
Ich spreche nicht allein von Slogans. Natürlich soll das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Es soll nur nicht so kommuniziert und verbreitet werden wie bisher. Das ist oft ein Problem wissenschaftlicher Publikationen: Die zirkulieren dann allein in wissenschaftlichen Kreisen, gelangen aber kaum an die Bevölkerung.
Ähnlich wie bei Fridays for Future gehen Wissenschaftler bei Scientists for Future auf die Straße und demonstrieren. Passt Forschung und politischer Aktivismus zusammen?
Es gibt in der Klimaforschung etwa unter 98 Prozent der Forscherinnen und Forscher den Konsens, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Warum sollten sie nicht politisch aktiv werden, wenn dieser Konsens von der Politik übergangen wird? Ich selbst gehe zum Beispiel auch demonstrieren, ich bin als Forscherin ja auch ein Individuum mit einer Haltung. Diese Haltung muss ich beim Forschen immer mitreflektieren. In den Fokusgruppen treffe ich zum Beispiel Menschen, die eine andere Meinung haben als ich oder die den Klimawandel leugnen. Dann geht es erst einmal ums Zuhören. Es ist nicht meine Aufgabe, mit ihnen zu diskutieren oder sie zu überzeugen.