Ein Vormittag im Jugendgericht:"Ich hab' doch angerufen, dass es später wird"

Lesezeit: 3 min

Das Münchner Gerichtsgebäude: Auch zwischen den Jahren ruhten die Robenträger nicht. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Ein 20-Jähriger fährt dreimal ohne Fahrschein - und legt vor dem Jugendgericht einen eigenwilligen Auftritt als vielbeschäftigter Jungunternehmer hin. Immerhin will er sich bessern - "und Sachen machen wie Bücher lesen".

Von Susi Wimmer

Es ist die Zeit zwischen den Jahren. Ganz Behörden-Deutschland ist von Feiertagsruhe durchsetzt. Nicht ganz. Am Amtsgericht München hören die Jugendgerichte nicht auf, schlingernden Heranwachsenden mit mahnendem Zeigefinger den rechten Weg ins neue Jahr zu weisen. Auch wenn diese die Uhr nicht kennen, "Bockmist bauen", wie einer sagt, oder lieber an der Playstation abhängen.

Dass dreimal ohne Ticket in der U-Bahn Erwischtwerden schon vor dem Kadi enden kann, musste Damasos L. ( alle Namen geändert) bei der Ladung zur Gerichtsverhandlung schon einmal erkennen. Wenn er denn dort ankäme! Die Uhr in Saal B 132 tickt, was fehlt, ist der Angeklagte. "Ich hab noch was zu erledigen gehabt", sagt er, 20 Minuten zu spät. "Geht's noch!", entfährt es der Richterin. "Ich hab' doch angerufen, dass es später wird", versucht es der 20-Jährige. "Wir sprechen hier keine Einladungen aus, das ist eine Ladung zur Gerichtsverhandlung, da haben sie vorher nichts zu erledigen", kommt die erste Kopfwäsche für den jungen Mann.

Bei der Feststellung der Personalien wird es auch nicht besser. Er sei selbständig, "ich hab' eine GmbH", sagt der korpulente Typ im Designer-T-Shirt. Welche, will das Gericht wissen. "Baustelle", antwortet er. "Wie, Baustelle, was wird da gemacht?", fragt die Richterin weiter. "Ich bin Leiter der GmbH, ich bin der Chef", kommt als Antwort. Wie viele Leute denn bei ihm angestellt seien, fragt die Richterin. "Weiß nicht", sagt der Chef. Und nach längerem Nachdenken: "Fünf oder sechs."

Wenn man kein Geld für ein Ticket habe, müsse man halt zu Fuß gehen, sagt die Richterin

Die Staatsanwältin verliest die Anklage: Damasos L. fuhr binnen eines halben Jahres in der U 6, U 1 und im Bus 139 ohne gültigen Fahrschein. Schaden: 10,10 Euro. Erschleichen von Leistungen in drei Fällen, heißt das auf Amtsdeutsch. Während die Protokollführerin jedes Wort mittippt, sagt Damasos L., dass das alles schon so stimme. "Ich hatte in der Zeit kein Geld und keine Arbeit. Mir war es nicht so bewusst, was ich mache." Wenn man kein Geld für ein Ticket habe, müsse man halt zu Fuß gehen oder mit dem Radl fahren, hält ihm die Richterin vor. "Jaja", sagt der Angeklagte, "ich will mich jetzt auch weiterentwickeln und Sachen machen wie Bücher lesen". Ob er die je dreimal 60 Euro bezahlt habe, fragt die Richterin stattdessen. "Weiß ich nicht", sagt L.

Er habe immer schon selbständig arbeiten wollen, erzählt der 20-Jährige. Die Lehrer in der Schule hätten ihm schon gesagt, dass er Probleme mit dem Sprechen habe. Deshalb habe er nach der Hauptschule erst mal nichts gemacht und dann eine GmbH gegründet. Zum Beweis dafür zieht er einen Stapel zusammengefalteter Blätter aus der Hosentasche. Er faltet einen auf und zeigt ihn der Richterin: "Sehen Sie, das ist eine Überweisung mit mir als Chef." Die Richterin nickt. "Super Buchführung", sagt sie. "Danke", sagt er. "Das war ironisch gemeint", sagt sie. "Weiß ich", sagt er. Und wenn es in diesem Gewerbe nicht klappt, "dann stehen mir in diesem Land viele Möglichkeiten zur Verfügung", spricht der gebürtige Grieche.

"Er hat kein eigenständiges Leben, wohnt noch bei den Eltern."

Der Vertreter der Jugendgerichtshilfe sieht dann doch bei Damasos L., der noch bei der Mutter wohnt, eine gewisse Reifeverzögerung und spricht sich für eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht aus. Dem folgt das Gericht. Der 20-Jährige muss den Kurs "Fahr bar" beim Verein Brücke absolvieren, ein spezielles Angebot für junge Leistungserschleicher. Außerdem trägt er die Gerichtskosten.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Richard B. ist 19 Jahre alt, und nein, sagt er der Richterin bei der Personalien-Abfrage am Anfang der Verhandlung, er sei kein Schüler mehr. Er sei jetzt Hartz-IV-Empfänger. Im September wurde der Münchner dabei erwischt, als er im Karstadt am Bahnhof ein Parfüm des spanischen Designers Paco Rabanne in seiner Jacke verschwinden ließ. Er hat seinen Vater mit dabei, dem die FFP-2-Maske unter der Nase hängt, was die Richterin sofort moniert. Das Parfüm habe er seiner Mutter schenken wollen, "vielleicht", fügt Richard B. hinzu. "Was jetzt?", fragt die Richterin. "Zum Hochzeitstag", schreit der Vater von der Zuschauerbank. "Sie sind ruhig da hinten", sagt ihm die Richterin.

Einen Abschluss an der Mittelschule kann Richard B. vorweisen, sonst nichts. Ja, er habe sich schon mal beworben, "aber da hab ich auch Absagen bekommen". Was er dann den ganzen Tag so mache? Fitness und Playstation spielen, sagt B.. "Also Rumsandeln", nennt es die Richterin. "Er hat kein eigenständiges Leben, wohnt noch bei den Eltern", führt der Vertreter der Jugendgerichtshilfe an. Jetzt soll der 19-Jährige drei Beratungsgespräche beim Brücke-Verein absolvieren, um seine "Orientierungsschwierigkeiten" zu überwinden. Tut er das, wird das Verfahren eingestellt. Tut er das nicht, wird sich das Jugendgericht demnächst wieder mit ihm befassen müssen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDrogenskandal
:Münchens dunkles Herz

Polizisten, die in Kokain-Geschäfte verstrickt sind, verbotener Party-Rausch im Privatclub, ein Wiesnwirt mit Existenzangst. Und ein Dealer, der auspackt, um sich selbst zu retten.

Von Christian Helten, Felix Hunger, Viola Konrad, Katja Schnitzler und Susi Wimmer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: