München:Die Rechenkünstler

Lesezeit: 4 Min.

Es war eine deutschlandweite Premiere, als die Informatik sich vor 50 Jahren in München etablierte. Vieles war Pionierarbeit - inzwischen spielen die Forscher der TU international eine bedeutende Rolle

Von Bernd Graff

Die Informatik in Deutschland feiert den 50. Jahrestag ihrer Gründung in München. Denn hier wurde im Wintersemester 1967 an der Technischen Universität München (TUM) erstmals ein Studienzweig innerhalb der Mathematik angeboten, den man damals noch "Informationsverarbeitung" nannte. Professor Friedrich L. Bauer, der langjährige Doyen dieser Forschung, hielt vor 30 Studierenden eine auf zwei Semester angelegte Einführung. Um gleich klarzustellen, was hier unterrichtet wurde, hatte man dem neuen Studiengebiet ein Signet spendiert, das einen Abakus, also das älteste Rechengerät der Menschheit, in der Stellung zeigte, die der Zahl 1967 in biquinärer Darstellung entsprach. Ausdruck eines subtilen Mathematikerhumors. Gewiss.

Heute sind es 5000 Studenten, die in Garching an einer der bundesweit größten Fakultäten ihrer Art von rund 40 Professoren ausgebildet werden.

Vor 50 Jahren bestand die Notwendigkeit für die neue Forschungsrichtung vor allem darin, dass man ab 1950 in München angefangen hatte, elektronische Rechenautomaten zu bauen, also Hardware, für die nun händeringend Programme benötigt wurden. Denn, so der Informatikprofessor Hans-Joachim Bungartz, "damals ging es nicht mehr nur darum, Rechengeräte zu bauen, die höchst komplex zu bedienen waren, sondern auch darum, Information von diesen Geräten automatisch verarbeiten zu lassen". Bis dahin waren die Rechenapparate fest verdrahtete Solitäre. Jetzt sollte Software den universellen Zugriff erlauben. Und dazu musste man eine Sprache erfinden, in der man den Maschinen Befehle erteilen konnte: ein Code, so Bungartz, "den die Menschen erstellen können, damit Maschinen ihn verstehen". Zur "immateriellen Ingenieurwissenschaft" werde sich das Fach entwickeln, sagte Friedrich Bauer.

Wie reden wir mit Maschinen, wie schaffen wir es, dass diese Maschinen endlich automatisch rechnen? Das waren die einerseits grundsätzlichen, andererseits sehr praktischen Fragen für die Informatik-Pioniere. Die Bedeutung der neuen Disziplin Informatik für die deutsche Forschung wurde sofort verstanden. Schon im November 1967 wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Sonderforschungsbereich Informatik eingerichtet, der SFB 49, der sich nicht nur mit der Entwicklung von Theorie, den Grundlagen von Betriebs-, Programmier- und Anwendersystemen befasste, sondern auch der Ausbildung von Dozenten und Mitarbeitern für das neue Fach gewidmet war.

Pioniere und Maschinen: Friedrich L. Bauer (links) und Franz Schweiggert vor der "Perm" der Technischen Hochschule München aus den Fünfzigerjahren. (Foto: Deutsches Museum)

Folgerichtig erwuchs 1974 aus dem bloßen Mathematikzweig das eigene Institut für Informatik in der TUM-Fakultät für Mathematik. 1975 sprach man dann schon von der "Fakultät für Mathematik und Informatik", mit Beginn des Wintersemesters 1992/1993 wurde die Informatik endgültig eigenständig.

Im Laufe der Jahre hatten sich die Bedürfnisse der Nutzer nach immer mehr Leistung und Funktionalität gesteigert und sie steigerten sich auch weiterhin dramatisch. So wurde etwa neben schnellen lokalen Netzen der Aufbau von nationalen und internationalen Breitbandverbindungen immer dringender. Erforderlich wurde der Aufbau von Datenbanken, der Bedarf an automatisierter Datenverwaltung stieg ständig. Gemeinsam mit dem 1962 gegründeten LRZ, dem Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, heute mit Sitz in Garching, das als zentrales Rechenzentrum der beiden Münchner Universitäten fungiert, konnten sich die Wissenschaftsinstitutionen in Forschung, Lehre und Verwaltung mithilfe der Informatik schließlich zur "digitalen Universität" entwickeln.

Bereits im Jahr 1988 schaffte München PCs an, die zu den ersten überhaupt gehörten, zum Stückpreis von 8000 DM, die an Studenten verliehen wurden. Sie konnten sich damit über das Telefonnetz von daheim aus mit einem Modem im Schneckentempo von 1000 Bit pro Sekunde in das Universitätsnetz einwählen. Man wollte damals ernsthaft erforschen, welche Vorteile und Probleme auftreten, wenn Studenten einen Computer daheim nutzen. Ein Modellversuch, der intensiv begleitet und ebenso umfangreich ausgewertet wurde und damals als ebenso spektakulär wie abwegig galt.

Ein Pionier der Computertechnologie, die US-amerikanische "Sun Microsystems Corporation", stattete Mitte der Neunzigerjahre zur Unterstützung der studentischen Ausbildung die zehn weltweit führenden Informatik-Fakultäten mit ihren Hochleistungsrechnern aus. Fast schon selbstverständlich wurde da schon neben den Einrichtungen des US Massachusetts Institute of Technology (MIT), der US Stanford University, der US University of California, Berkeley, die Münchner TUM-Informatik gefördert. Ganz abgesehen davon, dass die Münchner Rechner schon 1993 unter den weltweit ersten 100 Servern überhaupt an das World Wide Web angeschlossen waren.

Sowohl die Anlage IBM/360-20 von 1967, die im Erdinger Rechenzentrum im Einsatz war, als auch die "Perm" der Technischen Hochschule München befinden sich heute im Deutschen Museum. (Foto: Stephan Rumpf)

Informatik ist heute der Innovationsmotor für technischen Fortschritt in allen Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, selbst für die Wissenschaft selber: Keine Genom-Entschlüsselung kommt ohne Informatik, keine Digital Humanities, keine moderne Astrophysik arbeitet ohne Informatik und ihre Berechnungen. Die Informatik in München rangiert im aktuellen Atlas der Europäischen Kommission zum "Stand der Forschung in der Informations- und Kommunikationstechnologie" nach Kriterien der internationalen Forschung und Entwicklung, der Innovation, der Attraktivität für Studenten wie für die Industrie auf Platz eins in Europa - vor London und Paris. Sie bietet Studienabsolventen die allerbesten Berufsperspektiven.

In München entwickelte sich denn auch ein reger und intensiver Austausch zwischen dem Informatik-Institut und der Industrie, etwa mit IBM und BMW. Mächtige Konzerne wie SAP, Microsoft, Google, Apple, Allianz sind mit Entwicklungs- oder Rechenzentren präsent oder richten solche ein. Seit Jahren betreibt das LRZ den "Supermuc", der Rechenleistung für die Forschung in Deutschland und Europa bereitstellt.

"Die Informatik ist entstanden aus dem Wunsch, das Rechnen zu mechanisieren und zu automatisieren", sagt Arndt Bode, der von 2008 bis Ende März des Jahres Leiter des LRZ war. Er nahm 2012 den SuperMuc in Betrieb entwickelte das LRZ in dieser Zeit vom klassischen Rechenzentrum zum nun europäischen IT-Service-Provider weiter. "Mit dem Computer haben wir nun eine Maschine, die universell und für ganz verschiedene Zwecke einsetzbar ist", sagt Bode. Denn längst schon gebe es ganz neue Anwendungsbereiche für die Informatik: das Internet der Dinge, das vernetzte Haus, intelligente Automobiltechnologien - alle diese Techniken erfassen Daten, speichern sie und geben sie weiter. "Immer wichtiger wird darum der Datenschutz, der Schutz der Anwender", meint Bode.

"Die Münchner Informatik beweist hier nicht nur seit Jahren europäische Exzellenz, sie spielt weltweit in der ersten Liga." Das bestätigt etwa auch das World University Ranking der Times Higher Education, in dem die TUM-Informatik 2017 auf Rang 9 platziert wurde. Weltweit. An diesem Freitag feiern die Informatiker ihr 50-jähriges Bestehen mit einem Festakt. Zur Veranstaltung in der Garchinger Fakultät kommt auch Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle und spricht ein Grußwort.

© SZ vom 12.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: