Mitten in Schwabing:Kleine Spione

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Wenn man klein ist, will man alles wissen und betreibt zwangsläufig Spionage bei den Erwachsenen. Und wenn man dann selbst erwachsen ist, hat man deshalb großes Verständnis, wenn man einen kleinen Spion erwischt

Von Nicole Graner

Einst, vor vielen, vielen Jahren, als Kind, war es das Spannendste, Verbotenes zu tun. Ausgelöst von einem wunderbaren Buch: "Harriet - Spionage aller Art" von Louise Fitzhugh. Die elfjährige Heldin hatte nämlich eine eigene Spionagekluft und ein spezielles Werkzeug, das sich die Spionin mit einem Haken an die Jeans hängt. Alles wird beobachtet, die Nachbarn zum Beispiel, dabei jede Kleinigkeit in ein Tagebuch geschrieben.

Was für eine Idee! Sofort nachgemacht. Also hängte man sich Taschenmesser und Taschenlampe an den Gürtel, kletterte im Garten über Zäune, schlich sich in Garagen, lauschte Gesprächen. Einmal, oh, ja, das war spannend, saß man verborgen in einer kleinen Nische zu einem Balkon. Die Gittertür war ja offen. Und hörte, wie die Nachbarin - eine Frau mit blondem, auftoupiertem Haar und hoher Stimme - ihren Mann mit dem Spitznamen "Herzilein" umgurrte. Plötzlich flog die Gittertüre zu. Jemand hatte sie von der Garage aus zugemacht. Der Rückweg war verbaut! Blieb nur noch das Garagendach... Und wenn einen dann jemand sah?

Neulich an einem Samstagmorgen, Kinder spielen im Nachbarsgarten. Man hört es durch das geöffnete Fenster, noch ganz verschlafen im Bett. Später der Schreck. Schwarze, erdige Fußabdrücke auf der Terrasse, verschmierte Zeichnungen auf der Balkontür und ein mit dem Schuh eingekratztes "M" im Kies. Wer war denn da als heimlicher Gast unterwegs gewesen? Der Blick auf den Zaun. Eine Latte - sie war schon immer locker, war verschoben, ein kleiner Durchschlupf entstanden. "Sag mal, Markus (wir nennen ihn so)", fragt die Betroffene den spielenden Nachbarsjungen, "warst Du in unserem Garten?". Heftiges Kopfschütteln. "Nein!" Die Gesichtsfarbe des kleinen Kerls wird rot. So rot wie seine dreckigen Gummistiefel. "Wirklich nicht? Wie kommt dann aber diese "M" auf den Kiesweg?". "Weiß nicht", sagt er mit dünner, piepsiger Stimme. Seine Angst ist sichtbar. "Na gut." Man sagt es milde und lächelt. Saß man doch selbst einmal heimlich bei Herzilein auf dem Balkon.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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