Mitten in Schwabing:Gefangen im Zeitfenster

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Dank Lieferservice lässt sich Freizeit sparen - wenn man nur nicht zum Empfang des Bestellten zu Hause sein müsste

Kolumne von Nicole Graner

Es wird gearbeitet, was das Zeug hält. Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung herausfand, wurde 2018 in Deutschland sogar noch mehr geackert als im Jahr davor. Überstunden sind an der Tagesordnung. Aber ehrlich, die meisten wünschen sich doch, weniger zu schuften, lieber Freizeit zu haben als Geld.

Das zumindest denken sich wohl auch Firmen, die einen Lieferservice während der Arbeitszeit anbieten. Wie zum Beispiel ein Möbel- und Einrichtungshaus. Nennen wir es einfach F. Dort wird online ein Regal bestellt, inklusive Lieferung nach Haus. Eine Woche später wird das gute Stück schon auf die Reise geschickt. Wow! Die sind schnell. Dazu passt die äußerst organisiert wirkende Dame am Telefon, die einem gleich den Liefertermin mitteilt. Ein Donnerstag soll es sein. "Und wann kommt das Regal?". "Dazu bekommen Sie gleich weitere Infos von mir", säuselt die Stimme. "Aber ich kann nur ..." "Jetzt halten wir den Termin mal fest, ändern können wir ihn ja noch." Na gut. Es kommt die Mail: In der Zeit von 7 bis 18 Uhr hat man zu Hause zu sein. Na prima, einen Tag lang frei nehmen? Und dann steht da noch, dass am Vortag "das Zeitfenster weiter eingegrenzt" werden könne. Auf ein Zwei-Stunden-Fenster. Bei Rückfragen könne man gerne anrufen. Und wie gern man das will. "Sie haben doch schon einen Termin", heißt es da recht zackig. "Ja ja, aber ich kann nur ganz in der Früh, oder von 14 Uhr an, da ist mein Mann zu Hause!" "Das können wir nicht vergeben. Wir haben Vorgaben von F. Rufen Sie den Spediteur an!" Gehört, gemacht: "Da können wir gar nichts eingrenzen, da könnte ja jeder ..."

Beim zweiten Versuch kann gegen eine weitere Gebühr das Zeitfenster von 7 bis 13 Uhr eingegrenzt werden. Okay, dann nimmt man sich eben einen Home-Office-Tag, falls es erst um 13 Uhr klingelt. Einen Tag vor der Lieferung wird dann alles noch enger: von 7.10 bis 9.10 Uhr. Und siehe da: Das Regal steht um 8.15 Uhr an seinem Platz. Mann, dann hätte man doch brav im Büro sitzen können. Um der Institutsumfrage Rechnung zu tragen. Aber so hatte der Tag etwas von Entschleunigung. Vielleicht wollte das F. genau so.

© SZ vom 06.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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