Mitten in Schwabing:Berolinas sanfte Kraft

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Brunnen sind nicht bloß Wasserspender, sie bieten mitunter auch Anlass für ein Gespräch

Von Nicole Graner

Man weiß, dass es sie gibt. Schöne Fassaden, Skulpturen oder schöne Brunnen im öffentlichen Raum. Aber vielleicht ist man sonst beschrittene Wege einfach lange nicht mehr gegangen - weil man mit dem Fahrrad fährt, weil Menschen, die man mochte, nicht mehr dort wohnen, weil das eigene Leben neue Phasen mit anderen Pfaden vorgibt. Und vielleicht hat man manches im Strudel der Alltäglichkeiten einfach auch vergessen. Umso schöner ist es, Vergessenes wieder zu entdecken.

Da steht an der Johann-Fichte-Straße, die der Betrachter auf dem Weg zum Ungererbad oft gegangen ist, der Berolina-Brunnen. Ein bisschen versteckt, auf einem winzig kleinen, vermoosten Platz. Eine nackte Frau sitzt auf einem zerbrochenen, antiken Säulenstück. Ihr Blick richtet sich melancholisch in die Ferne. Zwischen anderen Trümmerstücken hält die Schöne ihre Hand über einen Wasserstrahl, der aus zwei Düsen kommt und sich in zwei Hälften teilt. Berolina teilt das Wasser, das aus einer Quelle stammt. Bildhauer Ernst Andreas Rauch (1901-1990) wollte damit die unterschiedlichen Lebensquellen der geteilten Stadt Berlin thematisieren. Das leise Plätschern hat etwas Beruhigendes.

Plötzlich bleibt ein Herr mit Vollbart am Brunnen stehen. Fragt interessiert: "Ist das die Venus?" Nein, das ist Berolina. "Aha, nie gehört. Aber schön ist die Frau dennoch." Und während die vermeintliche Venus das Wasser teilt, entspinnt sich ein Gespräch. Er sei auch Künstler, sagt der Mann. Er sei Homan Saghafi und er könnte die Maid auf den Trümmersteinen als Kunstmaler wunderbar malen. Viele Jahre habe er an Theatern wie zum Beispiel dem Nationaltheater in München auch Bühnenbilder gemalt. Das mag man ihm gerne glauben, denn mit Begeisterung erzählt er, wie gern er gearbeitet habe. Für die Stadt München malte. Er erzählt von seiner Mutter, die gestorben ist. Viel zu früh für ihn. Dass er zwei Kinder hat. Und dann blickt Saghafi auf den Wasserstrahl des Brunnens: "Wasser ist immer schön, es gibt Kraft." Ein bisschen scheint er sie und auch das Gespräch zu brauchen. "Danke", sagt er, "für die schöne Unterhaltung". Vielleicht sieht man sich ja wieder. Das tut man, eine Stunde später an der Münchner Freiheit - und begrüßt sich wie alte Bekannte.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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