Mitten in Obersendling:Helden des Wissens

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Es gibt Rätsel, die erfordern nur wenige kognitive Fähigkeiten

Von Jürgen Wolfram

Wie manche Medien ihr Publikum einschätzen, offenbart sich, wenn sie Gewinnspiele ausschreiben. Ein IQ jenseits der Prozentzahl von Starkbier wird nicht erwartet, statt mit geistvollen Fragen sieht sich der Leser/Hörer/Zuschauer auf eine Weise umgarnt, die an Hohn grenzt. Wann wurde Boris Becker erstmals Wimbledon-Sieger: a) 87 v. Chr., b) 1985, c) 2016? Neben Sportereignissen werden gern Hauptstädte abgefragt. Wie also heißt die Kapitale von Malawi? 1) Peking, 2) Stockholm, 3) Lilongwe?

Den zweiwöchigen Traumurlaub auf den Seychellen zu gewinnen bleibt trotz der beleidigend läppischen Herausforderung reine Glückssache. Denn es machen noch bestimmt 830 000 andere Helden der Allgemeinbildung mit. Was drastisch die Chancen minimiert, aus dem Intelligenztest als Sieger hervorzugehen.

Einer Art Glücksspiel gleich kommt kürzlich der Versuch, in die "Lange Nacht der Architektur" einzutauchen. Ist endlich das kognitive Fähigkeiten erfordernde Rätsel gelöst, welche Route der Shuttlebus nimmt, schlägt dem Bauten-Bummler eine Stunde widersprüchlicher Überraschungen. Die "Brotfabrik" in Obersendling etwa entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Bäckerei-Café, lediglich untergebracht in einer ehemaligen Werkstatthalle. Schlank wie eine Laugenstange das Besichtigungsprogramm: Ein paar Erläuterungen zu Entstehungsgeschichte und Baumaterialien, ansonsten Fehlanzeige. Er habe mit etwa zehn Besuchern gerechnet, bedauert der Geschäftsführer, nicht aber mit den 250, die den Verkaufsraum bevölkern - das mache einen Besuch der Backstube leider unmöglich. Dafür werden Brezen beworben und in Mengen Pizzafladen verkauft. Hat alles in allem den Beigeschmack eines Marketinggags in einer anders gemeinten Themennacht.

Charme und Scheußlichkeit liegen in Obersendling nah beieinander. Es finden sich durchaus leuchtende Beispiele industrieller Transformation. Wo einst eine Zigarettenfabrik stand, besinnt man sich heute auf das Gesetz der Schwerkraft. Aus einer ehemaligen Lagerhalle hat die Firma Gravity Lab ein Zentrum für Freestyle-Sportarten gezaubert. Nicht Baukunst, aber die reine Freude: wie Skater, Slackliner und Trampolin-Springer durch die Luft federn und über Schanzen segeln. Ersetzt beinahe den Zirkusbesuch. Einiges darüber gelernt, wohin der Bewegungsdrang heutige Teenager führt, hat der Besucher nebenbei auch noch.

Für das nächste Zyniker-Quiz in der Fernsehzeitschrift ist er nun erst recht überqualifiziert. Vermutlich dürfte es mal wieder ausreichen zu wissen, dass Angela Merkel nicht die Trainerin der Biathlon-Damennationalmannschaft von Liechtenstein ist und auch nicht die Klofrau des Strandhotels Binz auf Rügen, sondern die deutsche Bundeskanzlerin - also Lösung C.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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