Mitten in München:Nichts ersetzt das Magische Auge

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Die Technologie ist weit fortgeschritten, aber auch früher kam aus dem Radio satter Sound

Kolumne von Berthold Neff

Früher war es meist so, dass man sich Dinge gekauft hat, die ein ganzes Leben lang hielten. Wenn dann im imposanten, fein furnierten Radio von Grundig, das Anfang der Fünfzigerjahre etwas mehr als 600 Mark kostete, mal eine der zehn Röhren ausbrannte, ließ man eine neue einbauen, und schon hatte man wieder diesen satten Sound aus immerhin drei Lautsprechern. Die Musik holte man sich über eine Ferritantenne aus der Luft, meist über Mittelwelle, die weite Welt lockte man über Kurzwelle ins Haus. Das sogenannte Magische Auge half einem auf wundersame Weise bei der eindeutigen Sendereinstellung.

Die Wellenbereiche wählte man über die Luxus-Klaviertasten-Automatik aus, mit ihrem satten Klickgeräusch. UKW steckte damals erst in den Anfängen, aber das Gerät hatte dafür bereits eine eingebaute Dipolantenne. Im Prospekt hieß es: "Alle Errungenschaften der modernen Rundfunktechnik und insbesondere der UKW-Technik sind Ihnen in diesem Gerät dienstbar gemacht worden."

Heute verstehen nicht mehr alle Menschen ein Wort wie "dienstbar", und auch UKW sieht mancherorts schon dem sicheren Ende entgegen. Der Bayerische Rundfunk zum Beispiel strahlt Volksmusik über seinen "Heimat"-Sender nur noch im DAB+-Format aus, da geht ohne ein neues Gerät gar nichts mehr. Wie gut, dass ein Discounter diese Woche für knapp 90 Euro, also etwa 180 Mark, die "ultimative 4-in-1-Lösung als Stand-Alone-Empfänger für Internet-Radio, Digital DAB+ Radio, UKW-Radio und Musik Streaming Dienste" anbot.

"Dieses moderne Internet-Radio bietet Ihnen dank umfangreicher Ausstattung Ihre Lieblingsradiosender aus aller Welt", verspricht der Prospekt und ähnelt so jenem von Grundig, der nicht nur "höchste Empfindlichkeit und Trennschärfe", sondern auch eine "große Senderauswahl" verhieß - bei einem Klangbild, dessen "Naturtreue und Brillanz auch verwöhnten Ohren den Rundfunkempfang" zu einem "bisher nie gekannten Erlebnis werden läßt".

Voll im Kaufrausch, denkt man zunächst nur eins: Morgen ganz früh aufstehen und dieses Schnäppchen sichern. Dann schaut man aber noch mal kurz aufs Küchenregal, wo das Vorgängermodell schon seit zwei Jahren treue Dienste leistet und 25 000 Radiosender übers Internet ins Haus bringt. Warum hat das eigentlich eine Antenne, und warum hat sie noch niemand ausgefahren? Kann es sein, dass hier DAB+ schon eingebaut ist, diese Funktion aber im Menü unentdeckt blieb? So ist es. Man braucht gar kein neues Gerät. Man hatte, ohne es zu ahnen, schon seit zwei Jahren DAB+ in der Küche. Nun hört man es auch. Der Ton ist gut, aber es fehlt das Magische Auge.

© SZ vom 20.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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