Mitten in München:Lieber früher als zu spät

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Angrillen im Dezember, Lebkuchen im Herbst - die Schnellebigkeit der Zeit ist dem Antizykliker herzlich egal

kolumne Von Berthold Neff

Uns Menschen zeichnet von jeher ein gewisses Beharrungsvermögen aus, das allerdings von der Schnelllebigkeit unserer modernen Zeiten unterlaufen wird. All diejenigen, die sonst den Großteil ihrer Freizeit damit verbringen, mit dem Daumen über ihre Smartphones zu wischen und irgendwelche bunten Schnipsel in ihrem Kurzzeitgedächtnis zwischenzuspeichern, bevor sie im Orkus des Vergessens verschwinden, machen dabei mit. Das Angrillen, einst im Frühjahr bei den ersten Temperaturen über 20 Grad Celsius üblich, verlegen sie entweder auf die Zeit vor Silvester oder nach Neujahr, was durchaus seinen Reiz hat, denn glimmende Holzkohle wärmt durchaus.

Ihnen kommt es auch gelegen, dass in den Supermärkten noch während der Sommerferien die ersten Lebkuchen feilgeboten werden, und jeder weiß, dass die an Ostern nicht verkauften Osterhasen längst zu Nikoläusen umgeschmolzen wurden und in den Lagerhäusern auf dem Sprung sind. Die schnellsten unter ihnen werden sich dann unter die harten Lebkuchenherzen schmuggeln, die man nun den Oktoberfest-Touristen unterzujubeln gedenkt. Sie alle eint das Bestreben, bloß keine Zeit zu verlieren.

Angesichts dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass Weihnachten praktisch vor der Tür steht. Darauf hat uns am Freitag der vorigen Woche eine mehr als zwei Jahrtausende alte Institution gebracht, die Kirche, vertreten durch die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Immanuel Nazareth an der Barbarossastraße (benannt nach dem Kaiser, der bekanntlich seit Jahrhunderten im Kyffhäuser schläft). Die Kirchengemeinde hingegen ist hellwach und weiß, was die Uhr geschlagen hat: Sie lädt uns alle bereits jetzt zu "Gospel'n'Soul", dem "Christmas Edition 2019 Weihnachtskonzert", und zwar für Samstag, 30. November, einen Tag vor dem 1. Advent.

Wenn wir es richtig deuten, wie der Hase läuft, wird der Tierpark Hellabrunn künftig schon im Januar zum Ostereier-Suchen aufrufen. Dicker Schnee ist ohnehin das bessere Versteck als kümmerliches Gras.

© SZ vom 13.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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