Mitten in München:Bloß nicht zu bequem

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Die neue Sitzbank-Offensive der Stadt macht es einem leicht, immer auf dem Sprung zu sein

Kolumne von Berthold Neff

Vor knapp sechs Jahren haben die Münchner Dieter Reiter zu ihrem Oberbürgermeister gekürt, und seitdem hat er seinen OB-Sessel so gut eingesessen, dass er ihn gar nicht mehr verlassen mag. Um ihn weitere sechs Jahre behalten zu können, hat er vor ein paar Monaten zur großen Sitzplatz-Offensive geblasen. Damit es die Wählerinnen und Wähler in der gesamten Stadt so bequem haben wie er im OB-Büro im Rathaus, sollen mehrere Hundert neuer Stühle und Sitzbänke aufgestellt werden, auch in den Randvierteln, die man vom Marienplatz aus erst nach einem stundenlangen Fußmarsch erreichen kann.

Auf einigen dieser neuen Sitzgelegenheiten kann man es sich kaum so richtig bequem machen, nach dem Modell der typischen Münchner Bierbank fehlt ihnen eine Rückenlehne. Architekten und Designer finden das toll, weil sie klare Formen lieben und die Rückenlehne hassen. Die bricht doch tatsächlich nach oben aus und sprengt die mühsam skizzierte Geradlinigkeit. Bei der Bierbank fällt das Fehlen der Rückenlehne kaum ins Gewicht, denn im Biergarten kann man seinen Oberkörper auf dem Biertisch abstützen. Steht aber so eine Sitzbank ohne Rückgrat einsam in der Prärie herum, ist guter Rat teuer. Wo lehne ich mich an?

Wer das Glück hat, mit Partner unterwegs zu sein, kann sich auf einer solchen beidseitig nutzbaren Bank Rücken an Rücken setzen. Das erschwert zwar die Kommunikation etwas, sichert aber gegenseitige Unterstützung und körperliche Nähe. Und da die meisten Menschen ohnehin vor allem auf ihre Smartphones statt in die Augen ihres Gegenübers blicken, dürfte es kein großes Problem sein, wenn sie nicht nebeneinander sitzen, sondern sich Rücken an Rücken lehnen. Gespräche werden heute zunehmend nicht mehr analog geführt, sondern laufen über Whatsapp oder sonstige Dienste.

Vielleicht will man uns aber auch nur signalisieren, dass sich angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit - Globalisierung, Klimawandel, Brexit und Trump - niemand bequem zurücklehnen darf. Wir müssen alle auf dem Sprung sein, um notfalls einzugreifen.

© SZ vom 29.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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