Das "Speisezimmer" an der Ecke Camerloher/Guido-Schneble-Straße ist ein sehr hübsches, angenehmes Esslokal. Erstens haben sie hier immer originelle Schaufensterdekorationen - jetzt gerade den Themen Plastikmüll und Insektensterben gewidmet, aber es gab auch schon Plastiktüten aus aller Herren Länder, Konservendosen, altes Tafelsilber und ausgebleichte Rinderknochen, oder Speisesalzschachteln aus Indien, Brasilien, Japan und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zweitens, und vor allem, gibt es hier wirklich leckeres Essen, immer aus besten Biozutaten und vor den Augen der Gäste gekocht - immer was Vegetarisches, aber auch was für Fleischfresser; mal gute deutsche Hausmannskost, mal exotisch quer durch die Küchen der Welt.
Das Menü steht täglich neu mit Kreide auf Schiefertafeln geschrieben, und oft, wenn ich zur U-Bahn gehe, bleibe ich stehen, und hole mir Anregungen für den eigenen Speiseplan. Kürzlich gab es zum Beispiel afghanischen Linseneintopf mit Bio-Hackbällchen und Koriander-Mandel-Pesto. "Lecker", dachte ich mir, und schrieb schon in Gedanken einen Einkaufszettel für den Abend, als plötzlich von hinten eine unwirsche Stimme tönte: "Afghanischer Linseneintopf, ja mi leckst am Arsch."
Ich drehte mich um - da stand ein Mann, dessen Statur die Vermutung erlaubte, dass er eher selten afghanischen Linseneintopf isst. Vollmondgesicht, schmaler Schnurrbart, Goldkettchen am Handgelenk. Ich sagte: "Ist doch was Gutes." Er: "Wer's mag." Und dann noch, im Brustton der Empörung: "Und des in Deitschland!"
Wäre der Nur-Deutsch-Esser eine Ecke weitergegangen, dann wäre er auf die Gaststätte "Bierbauch" gestoßen, deren Speisekarte ihm wahrscheinlich mehr behagt hätte. Aber vielleicht sollte er es doch auch noch einmal beim "Speisezimmer" versuchen. Tags darauf gab es dort abgebräunten Bio-Leberkäs mit Spiegelei und Kartoffelbrei.