Mitten in Berg am Laim:Und sie dreht sich doch

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Eine poetische Rundreise im Innenhof des Technischen Rathauses

Kolumne von Renate Winkler-Schlang

Man muss nicht immer in die Ferne schweifen, kleine Abenteuer kann man auch beim stillen Warten auf den nächsten Termin erleben. Im Hof des Technischen Rathauses an der Friedenstraße, abends kurz vor sechs: eine Bank, ein Buch, ein paar Minuten für sich allein, wunderbar. Doch dann bewegt der Boden sich. Sanft, aber stetig.

Man weiß ja, dass der New Yorker Künstler Vito Acconci als Kunst am Bau "Courtyard in the Wind" schuf: Im öffentlich zugänglichen Innenhof dreht sich eine Scheibe im Boden, wenn der Wind den zwölf Meter hohen Rotor auf der Spitze des Turms antreibt und so die Energie für den beweglichen Ring liefert. Doch ein Blick nach oben zeigt: Es weht kein Lüftchen. Der Rotor macht keinen Rucker. Es war aber auch stets schwierig: Einem Sturm hielt der Rotor nicht stand, für geringe Windstärken war er zu träge. Offenbar darf man manchmal einfach so langsam rotierend die Perspektive wechseln.

Wer Geduld hat, kommt rum. Er dreht sich auf der Bank sitzend mit einer Straßenlaterne, einem Stück Buchenhecke und drei Bäumchen um einen festen Innenkreis. Gemächlich, beschaulich, meditativ - und plötzlich doch geeignet, einen fast seekrank werden zu lassen. Dass die Umgebung vorbeizieht, dass der Turm immer mehr hinterm Blätterdach der Bäume verschwindet, verwirrt für einige Sekunden den Magen und den Gleichgewichtssinn.

Ein Radler quert Kreis und Scheibe, als stünde beides felsenfest. Ein kleiner Hund an der Leine aber muss von seiner Besitzerin erst ein wenig angestupst werden. Offenbar ein sensibles Tier. Jetzt hat der Baum auf der Scheibe die feststehenden Bäume außerhalb erreicht. Äste knacken ein wenig, Blätter streifen aneinander. Dass man das gut vernehmen kann, zeigt, wie weit entfernt der Lärm der Stadt und des Ostbahnhofs hier ist. Gerade steuert die gepflasterte Fläche auf dem beweglichen Ring auf den Punkt zu, an dem sie eins wird mit dem Pflasterweg draußen. Die Umrundung macht Spaß, hoffentlich bleibt Zeit, den Kreis zu schließen. Doch ganz abrupt, gerade als die beiden Kopfsteinpflaster-Flächen eine gemeinsame Kante bilden, ist Schluss mit der fast poetischen Rundreise. Danke Vito Acconci, danke Baureferat. Frisch erholt geht es in den Sitzungssaal.

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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