Milbertshofen:Tapetenwechsel für die Verfassung

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Kunstfenster des Cafe Ludwig, Klopstockstraße 10, Petuelpark. Brigitte Voit, Typografischer Salon (Foto: Brigitte Voit/oh)

"Unsere Verfassung - nur noch Nostalgie?" Es ist eine beunruhigende Frage, die Brigitte Voit da auf ungewöhnliche Weise stellt. Im Kunstfenster des Café Ludwig, Klopstockstraße 10, am Petuelpark zeigt die Grafik-Designerin noch bis zum 8. November neun im Buchdruckverfahren auf historischen Tapeten erstellte Typografien, im Format 42 x 50 Zentimeter. In Kombination mit den aus der Zeit gefallenen Wandmustern wirken auch die Artikel der Bayerischen Verfassung ( 1946) irgendwie angestaubt, was in seiner Wirkung durchaus provokanten Charakter hat. Betont diese Darstellung doch gerade die Diktion der Verfassungstexte und stellt die Frage nach ihrer Verständlichkeit. "Dabei sind sie, auch nach heutigem Maßstab, unmissverständlich und eindeutig formuliert. Die Intentionen der Verfasser sind eindeutig erkennbar und nur mutwillig misszuverstehen. Nur scheint die Verbindlichkeit mit der Zeit nachzulassen", erläutert Brigitte Voit. Und ja, wie steht es im Turbokapitalismus unserer Zeit etwa um Artikel 157 (1)?"Kapitalbildung ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Entfaltung der Volkswirtschaft". Warum sitzen bestimmte Parteien in den Parlamenten und Gremien, da doch Artikel 119 der Bayerischen Verfassung mit aller Eindeutigkeit sagt: "Rassen- und Völkerhass zu entfachen ist verboten und strafbar"? Warum scheren sich Arbeitgeber so wenig um Artikel 168 (1)? "Jede ehrliche Arbeit hat den gleichen sittlichen Wert und Anspruch auf angemessenes Entgelt. Männer und Frauen erhalten für gleiche Arbeit den gleichen Lohn"? Lässt sich also verantworten, dass die Verbindlichkeit dieser wichtigen Worte verloren geht - oder ist, wie Brigitte Voit es formuliert, ein "Tapetenwechsel" nötig? Die Künstlerin führt seit zehn Jahren gemeinsam mit Andreas Mayr mit ihren eigenen Holz- und Bleischriften samt einigen Druckpressen den "Typografischen Salon" in den Ateliers der Volkshochschule an der Frohschammerstraße in Milbertshofen. Dort bieten sie Kurse an. Ihre eigenen und in Zusammenarbeit mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erstellten Druckprojekte präsentieren sie immer wieder in Ausstellungen.

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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