Milbertshofen:Motor der Sozialpolitik

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Stabwechsel: Vertrauensvoll übergibt Franz Lindinger seiner Nachfolgerin Saskia Adlon symbolisch den Schlüssel. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Franz Lindinger wird nach 34 Jahren an der Spitze des Vereins Stadtteilarbeit von vielen Gästen verabschiedet

Von Thomas Kronewiter, Milbertshofen

Nur wer den bedächtigen Herrn mit den silbergrauen Haaren und dem Vollbart nicht kennt, vermag seinen Einfluss und seine Durchsetzungsfähigkeit in Münchens sozialer Landschaft der vergangenen Jahrzehnte zu unterschätzen. Letztlich konnte kaum einer, der sich in jüngster Vergangenheit als ernstzunehmender Akteur in der Sozialpolitik tummelte, Franz Lindinger ausweichen. Weder seinen Argumenten, noch seiner Hartnäckigkeit und letztlich auch nicht seinen Visionen. Wenn der Geschäftsführer des Milbertshofener Vereins Stadtteilarbeit nun, nach 34 Jahren, sein Amt in jüngere Hände gelegt hat, geht in der Tat eine Ära zu Ende, nicht bloß für Milbertshofen.

So wunderte sich eben auch nur, wer die Verhältnisse nicht kannte, dass beim Abschiedsfest an diesem Wochenende die Jugendwerkhalle an der Hanselmannstraße aus allen Nähten platzte. Dass sich neben hoch- und höchstrangigen Vertretern nahezu aller anderen Wohlfahrtsverbände und der Politik der ehemalige Jugendamtschef Hubertus Schröer, seit acht Jahren nunmehr Vorsitzender des Vereins Stadtteilarbeit, selbstverständlich die Ehre gab. Ebenso wie der frühere Sozialreferent Friedrich Graffe und seine damalige Stellvertreterin Petra Schmid-Urban. Und was wurde an diesem Frühabend dem Neu-Rentner nicht alles an launig geflochtenen Girlanden umgehängt! So viel, dass der selbst konstatierte, er werde an diesem Tag "eindeutig zu viel gelobt". Vielleicht bringt das, was die meisten Gäste umtrieb, ein Satz von Regina Vogel auf den Punkt, eine von Lindingers wichtigsten Mitarbeiterinnen: Er, der Chef, habe "immer angestoßen und nie übergestülpt".

Und angestoßen hat Franz Lindinger viel. Ihm ist es zu verdanken, dass der Verein, der 1984 in einem winzigen Laden begonnen und sich ursprünglich der Ausländerintegration verschrieben hatte, inzwischen im Park und in den ehemaligen Direktorenvillen der Austria-Tabakwerke recht feudal seinen Stammsitz hat. Ein Wunsch, den selbst der damals amtierende Jugendamtschef Schröer seinerzeit zunächst als die Vision eines "Wahnsinnigen" abtat, dem aber die Verantwortlichen und der Stadtrat letztlich doch als berechtigtes Anliegen durch Überlassung der Immobilie nachkamen. Lindinger ist die Ausweitung der Integrationsarbeit auf nahezu alle Beratungs- und Hilfsangebote des sozialen Spektrums zu verdanken, "von der Wiege bis zur Bahre", wie Stadträtin und Vereins-Vorstandsmitglied Jutta Koller (Grüne) feststellte. Und dies längst nicht mehr nur in Milbertshofen, sondern sogar über Münchens Stadtgrenzen hinaus.

"Der Franz" mischte sich aber auch immer in die sozialpolitische Debatte ein. Er konnte und kann sich, wie Hubertus Schröer sagte, immer noch "empören". Dass er aber nicht bloß Fehlentwicklungen aufzeigte, sondern an ihrer Behebung stets mitwirkte, stellte er in langjähriger Arbeit im Kinder- und Jugendhilfeausschuss des Stadtrats ebenso unter Beweis wie etwa als Gründungsmitglied des "Münchner Trichters". Von dieser Kooperationsgemeinschaft verbandsunabhängiger freier Träger der Münchner Kinder- und Jugendhilfe kam denn auch zum Abschied eine Ehrung, die trotz reichlich Augenzwinkern letztlich vollkommen ernst gemeint war: der erstmals überreichte "Ehrentrichter" des Münchner Trichters, selbst gebastelt aus Karton.

In Franz Lindingers reichlich große Fußstapfen tritt Saskia Adlon. Die 55-jährige Diplom-Sozialpädagogin, die schon als Münchner Studentin für den Verein Stadtteilarbeit im Einsatz war und bis vor Kurzem in Niedersachsen in der Behindertenarbeit wirkte, wurde seit Januar von Franz Lindinger sorgsam eingearbeitet. In seinem Sinne will sie die Arbeit weiterführen.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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