Milbertshofen:Farbe am Ende des Tunnels

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Das Dachauer Künstlerkollektiv "Outer Circle" möchte einige Unterführungen am Güterbahnhof im Stadtbezirk gestalten - und hofft dafür auch auf Geld von der Stadt

Von Jerzy Sobotta, Milbertshofen

Ein bisschen was von seinem schmuddeligen Charme haftet dem Graffito immer noch an. Kein Wunder, sieht man die gesprühten Wandmalereien meist auf verlassenen Häusern, alten Mauern und in Tunnel. Einige Unterführungen rund um den Milbertshofer Güterbahnhof hat sich nun eine Gruppe von Sprayern aus Dachau ausgeguckt. Dort würden sie gerne ihre Dosen klackern lassen und die trostlosen Wände besprühen. Wer jetzt an eine Nacht-und-Nebel-Aktion denkt, an maskierte Jugendliche, Vandalismus und Blaulicht, der fehlt. Die Sprayer haben sich vor drei Jahren in einen Kunstverein zusammengeschlossen, zur "Förderung von zeitgenössischer bildender Kunst und Kultur", wie sie über sich sagen. Outer Circle heißt der Verein und besteht aus gut einem Dutzend Enthusiasten, die vorwiegend in Dachau tätig sind.

Dass die Sprayer aus der Nachbargemeinde nun auf Münchner Unterführungen aufmerksam geworden sind, hat Adrian Till zu verantworten. Der 23-Jährige ist der Erste Vorstand des Vereins und war in den vergangenen Jahren viel in Milbertshofen unterwegs: "Mir ist aufgefallen, wie viele freie Flächen es hier gibt. Und wie viele Orte, an denen sich die Menschen offensichtlich nicht wohlfühlen." Konkret geht es um sechs Fußgängerunterführungen zwischen Lassallestraße und Ingolstädter Straße, die das Kollektiv gerne bemalen will. "Die Stimmung verändert sich. Die Orte sind dann nicht mehr bedrohlich und bekommen etwas Positives", sagt Till, der mit 14 Jahren zum ersten Mal eine Sprühdose in der Hand gehabt hat. Wie das Ergebnis aussehen könnte, zeigen die früheren Arbeiten der Gruppe, etwa an der Unterführung am Amperweg in Dachau.

Die Illegalität hat die Szene in München und Umgebung längst hinter sich gelassen. "Der eine ist im Schützenverein, der andere im Fußballverein. Und wir sind eben ein Kunstverein", sagt Adrian Till, für den das Hobby längst zum Beruf und Broterwerb geworden ist. Er bekommt Auftragsarbeiten von Firmen und der Stadt, macht Workshops mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Für Outer Circle gehört die Vermittlung von legalen Flächen an Sprayer aus der Region zu einer Kernaufgabe, gleich neben Festivals und Ausstellungen.

Etwas Farbe vertragen könnte die Unterführung an der Schleißheimer Straße. (Foto: Privat)

Das Leben jenseits des Undergrounds wird von seinen eigenen Gesetzen regiert. Und so gehören für Till mittlerweile auch Anträge, Behördengänge, Termine beim Kulturamt, bei der Bahn und in lokalpolitischen Gremien zum Alltag. "Wenn wir sprühen wollen, müssen wir uns schon ein Jahr im Voraus um die Bürokratie kümmern", sagt Till. Das sei mühsam und ohne Versprechen auf Erfolg. Denn die Absprachen mit den zuständigen Behörden seien auch vom Wohlwollen der Angestellten abhängig.

"Wir wollen nicht darum kämpfen müssen. Denn es ist doch im gegenseitigen Interesse", sagt Till und verweist auf die Gemeinnützigkeit des Vereins. In Dachau habe man einen sehr guten Kontakt zum Kulturreferat. Und in München? "Mal sehen. Man merkt schnell, ob die Chemie stimmt." Die ersten Anträge für die Münchner Unterführungen werden bald abgeschickt.

Dabei machen die Sprayer eine leicht nachzuvollziehende Rechnung auf: Die Wände würden ohnehin wild bemalt. "Es ist besser einen Ort für Kunst zu schaffen, statt jährlich Tausende Euro für die Reinigung auszugeben", sagt Johannes Wirthmüller, der Zweite Vorstand von Outer Circle. Doch allein mit der Wand ist es nicht getan. Um die 30 Euro pro Quadratmeter stellen die Sprayer für die Auftragsarbeiten in Rechnung, Materialkosten und Honorar inklusive. Je nach Größe, mache das zwischen 10 000 und 40 000 Euro pro Unterführung aus. Geht es nach Outer Circle, so sollen Stadt und Bezirksausschüsse diese Kosten tragen.

Dafür gebe es Qualitätsarbeit: Bevor die Künstler zur Dose greifen, verbringen sie viel Zeit vor der grauen Wand und fühlen sich in die Atmosphäre ein. "Wir müssen den Ort kennenlernen. Das Licht und Schattenspiel bei Tag und Nacht, bei gutem und schlechtem Wetter", sagt Till. Die Emotion des Kunstwerks müsse zu dem Raum passen, in dem es entsteht. Dabei arbeite die Gruppe sehr abstrakt, mit viel Fläche und Formen. Die Bilder sollen die Assoziationen der Passanten wecken. "Unsere Kunst wird zum Spiegel: Wie die Menschen darauf reagieren, sagt mehr über sie aus, als über das Bild", meint Till. Für diese Art von Arbeit braucht es viel künstlerische Freiheit. Und die wollen sich die Sprayer nicht nehmen lassen, egal woher das Geld kommt.

© SZ vom 02.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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