Messestadt Riem:Rote Köpfe in der "Blauen Zone"

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Nachts parken, tagsüber suchen: Die neue Regelung stößt auf Kritik. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Osten der Messestadt protestieren Bewohner gegen die neue Regelung, wonach Parken am Straßenrand tagsüber zwischen 9 und 18 Uhr nur noch für zwei Stunden erlaubt ist. Sie fordern Parkausweise für Anlieger

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

Ein paar neue Schilder sorgen im Osten der Messestadt Riem für Aufregung. Einige Bewohner gehen auf die Barrikaden gegen die Einführung der "Blauen Zone", in der Parken am Straßenrand tagsüber zwischen 9 und 18 Uhr nur noch für zwei Stunden erlaubt ist. Die Forderung nach Parkausweisen für Anlieger lehnte der Bezirksausschuss Trudering-Riem nun jedoch ab.

Zukunftsweisend gedacht war einst das Konzept der Messestadt als weitgehend autofreier Stadtteil. Stellplätze jedenfalls sollten alle unter die Erde, damit oben Kinder sicher unterwegs sein können. Die Straßen sind bewusst schmal gehalten. Ganz am Anfang hatten die Planer sogar noch gehofft, auch die Zahl der Tiefgaragenplätze reduzieren zu können. Ihr Gedankengang: Es sind nie hundert Prozent aller Autobesitzer daheim, ein Teil ist immer unterwegs, bei der Arbeit, im Urlaub. Daher sollten zuerst nur 75 Prozent der Plätze gebaut werden, belegbar in einem "rollierenden System". Das aber hatte sich schnell erledigt, keiner wollte zahlen nur für die Chance auf einen Stellplatz, jeder wollte seinen eigenen reserviert haben, jeden Tag denselben.

So gibt es nun mit Ausnahme der Genossenschaft Autofrei Wohnen für jede Wohnung rechnerisch einen Parkplatz. Dafür wurde nachträglich das Parkhaus mit der Wellen-Fassade an der Georg-Kerschensteiner-Straße gebaut, in dem auch Plätze sind für Besucher des Bauzentrums, Zweitwagen und Besuch, der von auswärts kommt und über Nacht bleibt. Nur vier Euro koste das am Tag, erklärt Brigitte Sowa vom Messestadt-Bürgerforum, die sich für diese Besucherplätze stark gemacht hatte.

Es schien weiter ein allgemeiner Konsens zu sein, dass oberirdisch vor allem tagsüber nur wenige und nur befristete Plätze ausgewiesen werden sollten, denn der Parkdruck ist enorm: Mancher Besucher der benachbarten Messe will sich die Gebühr fürs teure Parkhaus sparen, auch Kunden des Einkaufszentrums Riem Arcaden scheuen den Weg nach unten und kurven lieber in den Messestadt-Sträßlein herum. Hinzu kommen Fans des attraktiven Badesees samt Park und Samstag für Samstag die des Flohmarkts auf dem Messefreigelände. Da sind die wenigen Plätze östlich des Berufsschulzentrums nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

In den Pioniervierteln der Messestadt ist die Blaue Zone etabliert und hat genau diesen beabsichtigten, positiven Effekt. Doch wer da einen Zweitwagen hatte, konnte auch immer noch ausweichen gen Ost. Auch viele Bewohner im Osten sparten sich offenbar die Kosten für die Tiefgarage und parkten unter der Laterne. Viele Jahre ging das so, weil die Stadt die Straßen erst sehr spät offiziell widmete, sie wollte offenbar ganz sicher sein, dass jede Bautätigkeit abgeschlossen war. Erst mit der Widmung aber ist die Chance auf Parkraumbewirtschaftung rechtlich gegeben.

Die neu betroffenen Anlieger wussten, was auf sie zukommen würde: Nachdem das Kreisverwaltungsreferat dem Wunsch von Brigitte Sowa auf einen Infoflyer nicht nachgekommen war, druckte und verteilte das Bürgerforum in Eigenregie ein solches Infoblatt. Dennoch geben sich einige nun sehr überrascht, der Bezirksausschuss hatte mehrere Beschwerdeschreiben auf der Tagesordnung. Er habe vier Kinder und seine Frau sei schwanger, da müsse man das Auto vor der Tür haben, erklärte etwa ein Familienvater. Einen Tiefgaragenplatz habe er nicht mitmieten können, die seien alle vergeben gewesen. Nun sammle er Strafzettel, die er sich nicht leisten könne. "Ich kann mein Auto nicht verschrotten und ich kann es nicht an einen Baum hängen", sagte er und spielte damit auf die Insellage der Messestadt an: Weil sie durch den Park von Trudering und die Autobahn von Riem getrennt ist, kann man nicht auf Nachbarviertel ausweichen. Eine Bürgerin fand die neue Regelung "frauenfeindlich". Sie brachte Parkuhren ins Gespräch. Ein anderer forderte eine Anliegerbefragung: Die Messestädter hätten meist Migrationshintergrund, trauten sich daher nicht auf Bürgerversammlungen, wo die Blaue Zone beschlossen worden sei, und es käme ihnen zudem nicht in den Sinn, ihre Kinder dafür abends alleine zu lassen. Eine Befragung lasse sich leicht finanzieren - wenn die Stadt dafür die Politesse einspare, erklärte er.

Sowa jedoch sagt, als Reaktion auf den Infoflyer habe sie weit mehr positive Mails bekommen: "Endlich, endlich Ruhe", das sei der Tenor gewesen. Im Übrigen habe die Wohnungsgesellschaft Gewofag noch bis vor Kurzen ein Banner an einem ihrer Blöcke gehabt mit Mietangeboten für Tiefgaragenplätze, so Sowa. Auch der Bezirksausschuss verwies auf die ursprüngliche Intention der Blauen Zone und beschloss, die Lage erst einmal zu beobachten. Dazu gehört die Prüfung der Frage, ob und wo es in den Tiefgaragen noch freie Plätze gibt. Genau so will laut Sprecher Florian Schmalmer auch das Kreisverwaltungsreferat vorgehen. Man kenne die Beschwerden und nehme sie ernst. Möglicherweise werde man sich mit dem Planungsreferat zusammensetzen, das Konzept auf den Prüfstand stellen und nachjustieren - aber gewiss nicht gleich im nächsten halben Jahr.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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