Messestadt Riem:Die reine Leere

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Der Willy-Brandt-Platz am U-Bahnhof Messestadt West beeindruckt vor allem durch seine schiere Größe. Ein Brunnen plätschert vor sich hin, bunte Plastikmöbel setzen Akzente, und freitags gibt's hier Wurst und Gemüse

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

In einer Stadt, die immer dichter bebaut wird, ist Platz Luxus. So gesehen ist der Willy-Brandt-Platz in der Messestadt Riem Luxus pur. Von Pracht, Prunk oder Pomp hingegen ist dort nichts zu sehen. Dieser Platz bietet einfach nur Platz, viel Platz: Die Kehrmaschine hat gerade am nordöstlichen Eck angefangen, Bahn für Bahn abzufahren. Es wird dauern, bis der Mann drüben am Bauzaun auf der Westseite fertig ist. Die Bäume und Bänke an den Flanken der Fläche wirken wie Bäumchen und Bänkchen. 3000 Quadratmeter groß ist allein der asphaltierte Boden-Brunnen mit Quellstein in der Mitte. Schon allein das ist größer als so mancher andere Platz in der Stadt. Die Gesamtfläche beträgt stolze 15 000 Quadratmeter, da würde der Marienplatz mit seinen Touristen gleich drei Mal reinpassen.

Hier hingegen gibt es selten Menschenmassen: Der Willy-Brandt-Platz ist Transitzone der Messestadt-Bewohner auf dem Weg zur U-Bahn und der Kunden zu den Riem-Arcaden. Nur freitags, am "Schlemmertag", wenn die Standlbetreiber Obst, Gemüse, Backwaren, Wurst und Würstl feilbieten, wird der Platz zum Treffpunkt und zur Ratsch-Zone der Messestädter. Die ganze Fläche brauchen sie dafür allerdings nicht, eine Gasse mit Ständen rechts und links genügt dafür völlig.

Platz der Leere: So haben ihn von diesem meist tristen Ambiente zutiefst enttäuschte Lokalpolitiker getauft, vor vielen Jahren schon. Jetzt aber gibt es die Enzis. So heißen die knallbunten Riesen-Plastikmöbel zum Sitzen, Liegen, Dösen. Abgeschaut hat das die Stadt im Wiener Museumsquartier. Anders als dort fehlt hier für die Enzis aber oftmals die Zielgruppe. Sie stehen halt da, ganz ohne Schatten.

Auch sonst ist der Platz nicht völlig kahl. Radlständer, Zeitungskästen, quadratische Beton-Sperr-Quader, ein altes Dreirad mit Ladefläche, auf dem ein Aufsteller der Kulturetage für deren Veranstaltungen wirbt, Stelenlampen, Papierkörbe, Notausstieg aus der U-Bahn, Notabstieg zur Tiefgarage und dann auch noch die sperrige Riem-Reibe: Alles findet mühelos Platz auf diesem Platz.

Die Riem-Reibe, die auf die Freitreppe am großzügigen U-Bahnaufgang drapiert wurde, ist Kunst. Olaf Metzel hat die lange, geknickte Skulptur geschaffen, aus rauen Metall-Tritten, wie man sie für Baugerüste verwendet. Das war eine Anspielung, denn lange war das Neubauviertel ein Stadtteil der Kräne und Baustellen. "Nicht mit uns" taufte Metzel sein zunächst temporär gedachtes Werk - nach einem Zitat Willy Brandts, das gut passte: Gerade die Messestadt-Pioniere wollten mitgestalten und haben wohl oft "Nicht mit uns" gesagt oder gedacht. Sie haben sich gerieben an manchen Vorstellungen der Planer. Die Reibe wäre allerdings anfangs beinahe entsorgt worden, denn jemand hatte sie versehentlich für einen gefährlichen Haufen Bau-Schrott gehalten. Inzwischen ist aus dieser temporären "Stadtmarke" der Kunstprojekte Riem eine bleibende geworden, die Stadt hat sie angekauft.

Es gab in der Geschichte des Willy-Brandt-Platzes aber noch gravierendere Pannen als diese Beinahe-Entsorgung. So besteht der Belag außerhalb der Brunnenfläche aus indischem Sandstein. Die MRG, der Maßnahmeträger, der im Namen der Stadt die Infrastruktur des neuen Viertels herstellen lässt, hatte sich eigens ein Zertifikat besorgt, dass keine indischen Kinder beim Behauen schuften mussten. Doch es stellte sich heraus: Das Zertifikat war gefälscht. Da war die Rechnung jedoch bereits bezahlt. Ein schwieriges Pflaster.

Eher als Panne betrachteten viele auch den Brunnen, der keiner ist. Die Planer wollten den Platz nämlich eben nicht möblieren, sie wollten, dass die Messestädter ihn vielfältig nutzen, für Konzerte und Kundgebungen, für Floh- und Weihnachtsmärkte, zum gemeinschaftlichen Frühsport. Ein "Möglichkeitenfeld".

Doch für all das gibt es bessere Orte und das, was die Leute wirklich wollten, ein Eiszauber im Winter, kam nie zustande. Angeblich lasse das die Statik der unterm Platz befindlichen Tiefgarage nicht zu. Das wurde später dementiert, Schlittschuh aber lief hier noch keiner. Der Brunnen aber duckte sich nach dem Geschmack der Menschen zu sehr in den Boden und spuckte zu selten. Da hat das Baureferat inzwischen nachgelegt, eine kräftigere Pumpe angeschafft, die statt wie bisher 27 nun 36 Liter pro Sekunde speit, und zwar nach einem von der Künstlerin Karin Sander erdachten "Stundenplan". Die kleinen Pfützen ziehen nun an heißen Tagen magisch die Kinder an.

Karin Sander war von den Kunstprojekten Riem mit den Platz-Planern vom Büro Lützow 7 aus Berlin zusammengespannt worden, um ein wenig Künstlerisches in dieses großzügig bemessene Feld zu bringen. Da hatte sie vor allem Sterne im Sinn, Leuchtdioden an der Unterseite eines ovalen Portikus, der auf den Gebäuden an der Ost-, Süd- und Westseite und im Norden auf tragfähigen Betonsäulen aufliegen und den Platz fassen, ihn gleichsam "krönen" sollte. Anfangs sollte der sogar noch begehbar sein.

Weil aber das Gebäude auf der Westseite nie kam - es war bisher weder Bedarf für ein Multiplexkino noch für noch mehr Büros - kam auch der Portikus nicht. Zwar kündigt die Eigentümerin, die mfi, in dieser Sache Neuigkeiten an - doch das tat sie in der Vergangenheit schon öfter, ohne dass sich irgendwas getan hätte. So bleibt der Willy-Brandt-Platz wohl noch eine Zeitlang ein Unvollendeter, einer mit Luft nach oben. Es fragt sich aber sowieso, ob's der Portikus wirklich rausreißen würde: Jetzt immerhin hat man noch freie Sicht auf den weiten Himmel über Riem.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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