Messestadt Riem:Dach überm Kopf

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Im Technologiepark östlich der Messe ist eine Wohnanlage für Obdachlose entstanden. Um die Bewohner kümmern sich der Katholische Männerfürsorgeverein und ein engagierter Helferkreis

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

Nicht nur ankommende Flüchtlinge muss die Stadt unterbringen, auch Münchner Wohnungslose und die anerkannten Asylbewerber, die möglichst zügig aus den überfüllten Gemeinschaftsunterkünften ausziehen sollen, brauchen ein Dach über dem Kopf. Daher ist im Technologiepark östlich der Messe eine Wohnanlage für Obdachlose entstanden. Die ersten Bewohner sind schon eingezogen, Birte Röhrig und ihr Team vom Katholischen Männerfürsorgeverein kümmern sich um sie. Unterstützt werden sie vom engagierten Helferkreis der Messestadt, zu dem mit dem ehemalige Sozialreferenten Frieder Graffe auch ein stadtweit prominentes Gesicht gehört. Graffe macht ganz neue Erfahrungen.

Kiesbrache, gegenüber das edle Schuhbeck-Dinnershow-Zelt. Was für ein Kontrast. "Fair Price" steht über dem Eingang der Unterkunft. Es ist der Name der Firma, die die Anlage laut Geschäftsführer Oliver Ehrhardt für fünf Jahre hier im Auftrag der Stadt baut und betreibt. Es klingt ein wenig zynisch, weist es doch darauf hin, was der Münchner Wohnungsmarkt eben gar nicht bietet - faire Preise. 246 Bettplätze hat die Unterkunft. Draußen sitzen ein paar Bewohner, die zahlreichen Kippen zeugen davon, dass das für viele schon zum Lieblingsplatz geworden ist. Drinnen sind Zigaretten verboten, ebenso Drogen und Alkohol. Ein Kind fährt Dreirad, in einem Zimmer macht eine Familie Brotzeit, ein Fernseher läuft. Aushänge weisen auf Sprechzeiten hin, auf Veranstaltungen und Angebote. Noch ist die Anlage nicht voll, aber erste Gebrauchsspuren an den Wänden weist sie schon auf.

Birthe Röhrig vom Männerfürsorgeverein, Frieder Graffe vom Helferkreis und Fair-Price-Geschäftsführer Oliver Ehrhardt kümmern sich um die Anlage. (Foto: Catherina Hess)

Birte Röhrigs Büro ist noch nicht fertig eingerichtet, doch den Kontakt mit den ersten Schützlingen hat sie sofort aufgenommen. Sie erklärt die Bedingungen: Ausschlusskriterium hier wäre nur eine Pflegestufe oder Behinderung, der Schotter rundum ist nicht Rolli-tauglich. Früher hätten sich die Mitarbeiter der Bezirkssozialarbeit auch um die Wohnungslosen gekümmert, mit einem Betreuerschlüssel von 1:200, dann 1:100. Sie könne mehr tun, denn hier gelte ein Schlüssel von 1:25. Die Probleme der Menschen, die nur eine Tasche oder einen Koffer dabeihaben, wenn sie ihr Bett in den Zweibettzimmern beziehen und ihren abschließbaren Spind belegen, seien aber auch vielfältig. Traumata bringen einige mit, daher kommt einmal die Woche in Psychiater zur Sprechstunde in die Anlage. Andere haben einen Berg von Schulden. Viele gehen aber auch arbeiten und finden einfach nur keine Wohnung. Birte Röhrig hat aber auch ein großes Netzwerk, kann manchmal Ausbildungen etwa beim Kolpingswerk vermitteln. Viele Sprachen werden hier gesprochen: "Ich darf aber auf die Dolmetscher der Stadt zurückgreifen", freut sie sich. Sie kann Integrationskurse anbieten, für die Familien die Sprechstunde einer Kinderkrankenschwester.

Im Vergleich zu Pensionen mit Vierbettzimmern sei diese neue Anlage "ein Quantensprung", sagt sie. Die Bewohner dürfen kostenlos die Waschmaschine und den Trockner nutzen, die Hausmeister und Security-Mitarbeiter seien zugewandt, verbänden etwa die nötigen Kontrollen taktvoll mit dem Austeilen der Post. Man könne gut zusammenarbeiten.

Das, so sagt sie, gelte auch für den Helferkreis der Messestadt. Sie habe für eine alte Frau, die sie schon an einen dauerhaften Wohnplatz vermitteln konnte, schon gezielt Kleidung bekommen. Ein Neugeborenes werde von den Helfern mit Windeln versorgt, für einen älteren Herrn aus Syrien habe jemand, der Arabisch kann, eine Patenschaft übernommen. Ein junger Mann gebe Nachhilfe in Mathe. Eine Frau beaufsichtige die Kinder während des Deutschkurses.

"Fair Price" steht über dem Eingang der Unterkunft, 246 Bettplätze hat die Anlage. (Foto: Catherina Hess)

Graffe sagt, seine Frau habe beim Helferkreis die gemeinsame Nummer hinterlassen. Er halte sich gerne im Hintergrund, habe aber schon ein paar Einsätze drüben in der Flüchtlingsunterkunft hinter sich, die der Kreis auch betreut. Dort habe er geholfen, das Kinderzimmer auszustatten. Er habe mit ein paar Frauen aus dem Balkan gestritten, weil die viel zu viel Waschmittel benutzten, bis er gelernt habe: "Die haben keine Vollwaschmittel." Dann habe er gespendete Kleidung sortiert, doch es gab keine Regale. Gar nicht so einfach, das Helfersein. An Birte Röhrig schätzt Graffe, "dass sie den Bedarf gezielt formuliert". Ein Helfer komme "hereingestolpert mit großen Herz und will zupacken, weiß aber nicht, wie", da sei der Profi wichtig. "Es sind auch spannende Fantasien da über die Menschen hier", erklärt Röhrig. Doch die Vorsicht weiche schnell der Offenheit.

Auf die Frage, was bei der Arbeit hier ein Erfolg sei, antworten Röhrig und Graffe verschieden. "Ein Mietvertrag in einer eigenen Wohnung", sagt Graffe. Für Röhrig ist es schon schön, wenn sie echten Kontakt bekommt zu den Bewohnern, Lebensgeschichten kennt, den Bedarf genau erkennen kann, kleine Fortschritte erzielt wie etwa ein Einzelzimmer für jemanden in einer betreuten WG oder einem Arbeiterwohnheim. Eine richtige, erschwingliche Wohnung, die finde sie selbst für ihre neuen Mitarbeiter oft nur mit Mühe.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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