Messestadt Riem:Botschafter des Moments

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Viel Zeit und Engagement investieren die Mitglieder der Foto-Werkstatt, um sich in Bildern mit ihrem Quartier auseinanderzusetzen. Zur Zeit arbeiten sie an den Vorbereitung ihrer Jahresausstellung mit dem vielsagenden Titel "Messestadt - Licht und Schatten"

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

"Vielleicht solltest Du das ganze Bild schwarz-weiß machen, der blaue Streifen irritiert mich." -"Ich würde hier schneiden, damit die Aufnahme symmetrisch wirkt." - "Irgendwas Scharfes sollte im Bild sein." - "Ich seh das eher grafisch." - "Das wär' gut für eine Postkarte." - "Ich finde dieses Motiv am schönsten." Die Teilnehmer an der Fotowerkstatt in der Messestadt Riem haben in einem hellen Raum der Kultur-Etage ihre neuesten Bilder an Stellwände gepinnt und geben sich konstruktiv Rückmeldungen. Nur die Frage nach der Aussage eines Fotos ist verpönt: "Das habe ich im Deutschunterricht schon gehasst", sagt Hermann Schemm.

Es ist eine fröhliche, freundliche Gruppe, die sich alle drei Wochen trifft und gemeinsam an ihrem durchaus doppeldeutigen Jahresthema arbeitet: "Messestadt - Licht und Schatten". Lange hat die Gruppe diskutiert, erzählt Wilfried Tatusch, denn es sollte ein Thema sein, in dem sich ästhetische und soziale Ansprüche sowie lokaler Bezug unter einen Hut bringen lassen.

In den vergangenen Jahren haben sie zu "Messestadt Schwarzweiß" und "Der andere Blick" nicht nur Ausstellungen gestaltet, sondern finanziell unterstützt vom Bürgerforum, dem Träger der Kultur-Etage, auch jeweils einen Kalender herausgegeben. Doch dafür gibt es in diesem Jahr offenbar keine Mittel mehr. Sie nehmen es gelassen, obwohl sie sich durchaus auch als "Werbeträger" verstehen für das Viertel, in dem sie sich treffen und in dem die meisten von ihnen auch leben - gerne und mit offenen Augen.

Der See in Riem. (Foto: Schemm)

Mit viel Engagement sind einige von ihnen Fotoreporter und Chronisten der Messestadt: Ob die Baumaschinen-Messe "Bauma" oder die ehrenamtliche Gartengestaltung der neuen Flüchtlingsunterkunft, ob das traditionelle Promenadenfest, die Wiedereröffnung der Grünwerkstatt oder die Veränderungen im Wäldchen, die der Asiatische Laubholzbockkäfer auslöst: Nichts entgeht den Hobbyfotografen, die im Einsatz etwa für die Stadtteilzeitung take off eine Armbinde tragen, die sie als Mitglied der Fotowerkstatt ausweist. Sie versuchen ferner, ihre eigene Homepage immer lebendig und aktuell zu halten und überlegen auch, wie intensiv sie sich für die stadtviertelübergreifende Seite unter der Adresse unsere-messestadt.de ins Zeug legen.

Zwei, drei Mal im Jahr verabreden sie sich draußen. Meist aber zieht jeder alleine los auf der Suche nach dem richtigen Motiv, dem besten Blickwinkel, dem ultimativen Moment, dem schönsten Licht, das manchmal nur an einem Tag im Jahr auf eine bestimmte Weise Schatten wirft - doch sie genießen es, die Foto-Schätze mit den anderen zu teilen und sich gegenseitig Tipps zu geben. Bereichernd sei das, weil jeder einen anderen Background mitbringt, sagt Wilfried Tatusch. Er ist in diesem Jahr der Sprecher der Gruppe - nicht etwa ihr Vorstand, denn in einer Vereinsgründung sahen sie keinen Sinn. Tatusch fotografiert in der Messestadt seit 15 Jahren, erst die anfängliche Ödnis, jetzt das bunte Leben: "Ich bin da langsam reingewachsen." Sein Metier ist die Streetfotografie, die manchmal am Persönlichkeitsrecht scheitert, denn nicht jeder will Protagonist einer Ausstellung werden. Sein Steckenpferd ist das künstlerische Verfremden der Bilder mit elektronischen Mitteln wie HDR /High Dynamic Range, wofür er drei Motive mit unterschiedlicher Belichtung macht und sie am Computer zusammenkomponiert für höheren Kontrastumfang.

Unterschiedlichen Orte und Plätze des Quartiers im Münchner Osten. (Foto: Schemm)

"Wie hast Du das hingekriegt, wie geht das?" Horst Stenzel, ehemals TV-Journalist, und Johann Reisz, ebenfalls Rentner, haben jetzt endlich Zeit für ihre Foto-Leidenschaft und lernen dazu. Reisz sagt, er wolle mit seinen Bildern Geschichten erzählen. Er hat ein Faible für die Hardware, probiert immer wieder neue Objektive aus. Mathias Brandstätter stößt aus Berg am Laim dazu, wo das Vorstandsmitglied des dortigen Bürgerkreises schon eine eigene Ausstellung hatte. Er ist gerne draußen in der Natur mit seiner Kamera.

Doch Fotografieren ist längst nicht mehr nur Männersache: Inge Neumann, ausgebildete Designerin, hatte zur analogen Zeit ein eigenes Fotolabor. Nun hat sie sich nach einer langen schöpferischen Pause doch eine digitale Kamera gekauft. Karina Schober, die sogar mal in einem Fotozeitschriftenverlag gearbeitet hat, hatte ebenfalls ein paar Jahre Foto-Krise: "Was mach ich nur mit all den Fotos", habe sie sich gefragt und sogar Angst gehabt, "alles nur noch durch die Linse zu sehen". Jetzt macht ihr die Motivsuche, vor allem nach Details, wieder Spaß - weniger aber das Bearbeiten am Computer, dafür sei ihr die Zeit zu schade: "Es muss gleich stehen."

Hermann Schemm, der an einer Autoimmunkrankheit leidet, schwärmt geradezu vom Fotografieren, es sei wie "Schokolade für die Seele". Gerne schaut er durchs Objektiv auf Frau und Töchter, aber auch auf Details einer Landschaft. Für ein gutes Bild nimmt er sich auch schon mal eine kleine Auszeit auf dem Weg ins Büro. Marcus Zander hat Parkinson, sitzt im Rollstuhl und ist dennoch einer von denen, die auch deshalb die Mühe auf sich nehmen, gute Bilder zu machen, um das früher bisweilen negative Bild von der Messestadt zurechtzurücken: Er gehörte auch zur nun aufgelösten Gruppe der "Imagepfleger".

Sie kommen ins Sinnieren darüber, warum sie Augenblicke sammeln. "Es hilft, den Alltag zu ästhetisieren", sagt Tatusch. "Ich mag den Prozess noch lieber als das fertige Bild", meint Schemm. Dann verfällt er ins Grübeln: "Ein Foto ist ein Moment in der Vergangenheit. Kann man ihn so festhalten?" Lange reden sie auch über die Kosten des Equipments, über das Gewicht der Objektive. Canon, Leica, Pentax, Sony, Nikon: Jeder hat seinen Favoriten unter den Firmen. Sie bringen sich das Skalieren bei, sprechen über Filter und Effekte. Manchmal aber genüge auch das Handy, sagt einer. "Technik ist nicht das Entscheidende, der Blick ist der Anfang", meint Karina Schober. Sie alle freuen sich an den eigenen gestalterischen und technischen Fortschritten und denen der anderen: "Darum nennen wir uns auch bewusst Werkstatt. Fotoclubs gibt es viele", sagt Tatusch.

Johann Reisz, Mathias Brandstätter und Wilfried Tatusch (von links) bei der intensiven Vorbereitung der kommenden Jahresausstellung. (Foto: oh)

Ein Problem hat mancher damit, selbst fotografiert zu werden: "Ich fühle mich wohler hinter der Kamera", sagt Schemm.

Die Ausstellung "Messestadt - Licht und Schatten" ist vom 21. November bis zum 23. Dezember in der Kultur-Etage, Erika-Cremer-Straße 8, zu sehen.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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