Mentale Techniken:"Es gibt viele Parallelen zwischen Sportlern und Ärzten"

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Knoten und Nähen mit entsprechenden Instrumenten im Bauchbereich am Simulator genügt nicht. (Foto: Florian Peljak)
  • Ein Sportpsychologe trainiert Chirurgen am Münchner Rotkreuzklinikum.
  • Er probt mit den Medizinern mentale Techniken, damit sie besser vorbereitet in den Operationssaal gehen.
  • Zudem sollen sie mit Stress und schwierigen Situationen besser fertig werden.

Von Inga Rahmsdorf

Tom-Nicolas Kossak trainiert eigentlich Leistungssportler. Er übt mit Abfahrtsskiläufern, sich die Pisten mit geschlossenen Augen vorzustellen, in Gedanken jede Kurve zu nehmen, um ruhiger ins Rennen zu gehen. Er berät Fußballmannschaften, wie sie als Team zusammenhalten, auch unter großem Druck. Kossak bringt Motorsportlern bei, wie sie mit Stress in der Fahrerkabine besser umgehen können. Der 35-Jährige ist Sportpsychologe. Seit einigen Wochen trainiert Kossak auch Chirurgen am Rotkreuzklinikum in München. Er probt mit den Medizinern mentale Techniken, damit sie besser vorbereitet in den Operationssaal gehen und auch unter Anspannung und Druck konzentrierter arbeiten können.

Psychologisches Training ist im Sport längst Normalität. Eine Selbstverständlichkeit, die besonders bei Profis zum Alltag gehört. In der Medizin dagegen ist es immer noch die Ausnahme. Dabei müssen Ärzte oft unter großen Anspannungen arbeiten, entscheidet ihr Handeln doch über das Wohl des Patienten, oft sogar über Leben und Tod. Bei komplizierten Operationen müssen sie stundenlang höchst konzentriert vorgehen. Eine kleine Unaufmerksamkeit, Nervosität, Anspannung oder Stress im OP-Saal können weitreichende Folgen haben.

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Warum sollte man nicht Ärzten mehr Unterstützung bieten, sie mental trainieren, ihnen psychologische Techniken an die Hand geben? fragte sich Wolfgang Thasler, Professor und Chefarzt der chirurgischen Abteilung am Rotkreuzklinikum. Gemeinsam mit dem Sportpsychologen Kossak entwickelte er ein Projekt, um Chirurgen mentale Tipps und Tricks zu vermitteln, die Spitzensportler längst nutzen. "Was erfolgreich im Hochleistungssport funktioniert, möchten wir für unsere Teamarbeit ebenfalls adaptieren", sagt Thasler.

Besonders im Blick hatte der Chefchirurg dabei die minimalinvasiven Eingriffe. Mussten Chirurgen früher dem Patienten die Bauchdecke aufschneiden, um ihn beispielsweise an Galle, Darm oder Leber zu behandeln, können Ärzte heute chirurgische Geräte durch minimale Öffnungen in den Körper einführen, um dann im Inneren damit zu operieren. Das kann für den Patienten nicht nur kosmetisch von Vorteil sein, weil die Operation nur eine kleine Narbe hinterlässt. Diese Eingriffe können auch weniger belastend für Patienten sein, gerade bei schwerkranken oder alten Menschen. Die minimalinvasiven Operationen haben sich in den vergangenen Jahren bundesweit immer stärker durchgesetzt. Doch sie erfordern auch sehr viel Übung.

Die Schwierigkeit für die Chirurgen ist, dass die zu behandelnde Stelle nicht offen vor ihnen liegt. Die Bauchdecke bleibt geschlossen. So können die Ärzte die Organe nicht ertasten, den Darm nicht anfassen, die Galle nicht direkt vor sich sehen, das Skalpell und die Pinzette nicht in der Hand halten. Bei einem minimalinvasiven Eingriff steuern die Mediziner die chirurgischen Instrumente mit einer Kamera durch den Körper des Patienten. Sie halten dafür zwei Schalthebel in der Hand, die dem Griff einer Schere ähneln. Der Blick des Arztes ist dabei jedoch auf einen Bildschirm gerichtet, ähnlich wie bei einem Computerspiel. Dort verfolgt er jeden seiner Schritte. Dadurch bleibt die Operation aber sehr abstrakt. Trotzdem muss natürlich jede Bewegung genau sitzen, muss das Organ vorsichtig angefasst werden, das Skalpell an der richtigen Stelle angesetzt werden, der Faden korrekt geknotet werden.

Ähnlich wie bei großen Sportwettkämpfen könnten sich auch Ärzte auf eine lange und komplizierte Operation vorbereiten, sagt Kossak. Es helfe beispielsweise, die Abläufe eines fünfstündigen Eingriffs zunächst in einzelne Schritte zu zerlegen, dann Knotenpunkte herauszuarbeiten und sie anschließend gedanklich im Kopf immer wieder durchzugehen.

Wie der Sportpsychologe mit dem Skifahrer quasi mentale Trockenübungen macht, bei denen der Sportler sich im Stehen mit geschlossenen Augen in jede Kurve so hineindenkt, dass sein Körper mitgeht, so könnten auch Ärzte die Abläufe trainieren, wenn sie die Augen schließen und gedanklich durchgehen, was sie tatsächlich im Körper des Patienten machen werden, es sich vorzustellen, es zu sehen und zu spüren. "Der Skifahrer stellt sich die Kurve vor, der Chirurg stellt sich den Knoten vor", sagt Kossak. Das helfe, um dann ruhiger in die OP-Saal zu gehen.

Im fünften Stock des Rotkreuzklinikums an der Nymphenburgerstraße haben Thasler und Kossak den Trainingsraum für das neue Projekt eingerichtet. Dort trifft sich der Sportpsychologe einmal in der Woche mit den insgesamt 14 Chirurgen des Krankenhauses. In dem Zimmer stehen zwei Simulatoren, an denen die Ärzte die minimalinvasiven Operationen üben können.

Wolfgang Thasler, Chefarzt im Rotkreuzklinikum, setzt zusätzlich auf Training mit dem Sportpsychologen Tom Kossak. (Foto: Florian Peljak)

Einer ist ein neues Modell, das nicht nur die Operationen auf dem Bildschirm simuliert, sondern auch zahlreiche Daten erfasst und nach jeder Übung einen Leistungsbericht erstellt. Wie lange hat die OP gedauert? Wie oft und an welchen Stellen ist dem Arzt ein Fehler unterlaufen? Anhand der detaillierten Messungen können die Ärzte sehen, ob sie sich verbessern, aber auch, in welchen Bereichen sie noch besonders trainieren müssen. Fassen sie ein simuliertes Hautgewebe zu fest an, verfärbt es sich dunkelrot auf dem Bildschirm.

Der Sportpsychologe und der Chirurg wollen so auch gemeinsam herausfinden, ob und wie sich die OP-Leistungen unter Stress verändern, wie Geräusche die Konzentration beeinflussen. Lenkt ständiges Telefonklingeln den Arzt ab? Können sich die Chirurgen besser darauf konzentrieren, einen Tumor zu entfernen, wenn es ganz ruhig ist? Oder sogar, wenn Musik läuft? Und wie reagieren sie auf unerwartete Situationen? Wenn plötzlich ein Blutgefäß platzt, wenn sich eine Blutung nicht stillen lässt. Wie kann man das trainieren?

Kossak erarbeitet mit den Ärzten auch Methoden, um mit eigenen Fehlern besser umgehen zu können und daraus zu lernen, statt sich darüber zu ärgern. "Es gibt viele Parallelen zwischen Sportlern und Ärzten", sagt der Psychologe. Wer in der ersten Disziplin eines Triathlons versagt, steigt anschließend entmutigt aufs Rad. Wem bei einem medizinischen Eingriff ein Fehler unterläuft, der geht unsicher in die nächste Operation. In der Chirurgie erwarte man Erfolge, sagt Thasler. Und das sei ja auch die Regel. Doch um so schwerer trage ein Arzt an seiner Schuld, wenn ihm einmal ein Fehler unterlaufe. Mit solchen Situationen besser umzugehen, sich von einem Eigentor nicht entmutigen zu lassen, das könne man trainieren, sagt Kossak.

Das Projekt ist zunächst für zwei Jahre angelegt. Doch Thasler und Kossak wollen ihre Ergebnisse analysieren und dokumentieren, um sie auch künftig nutzen zu können. Außerdem können sie sich vorstellen, die mentalen Techniken auch in anderen medizinischen Bereichen einzusetzen.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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