Meine Woche:Märchen ohne rosa Schleifchen

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Karin Wedra arbeitet am Image des Geschichtenerzählens. Sie gibt nicht nur Workshops, sondern organsiert auch einmal im Monat im Bahnwärter Thiel eine Art Erzähl-Slam. Dort gibt es Märchen für Erwachsene, das Publikum bekommt Bier und Pommes serviert

Kolumne von Irini Bafas

Karin Wedra wiederholt ihr Märchen, immer und immer wieder. Sie will es nicht auswendig lernen, sondern verstehen. Nur so, erklärt sie, könne sie es später auch korrekt wiedergeben. "Jeder Freestyle braucht ein Raster", sagt sie. "Mein Raster ist es, die Geschichte zu begreifen."

Wedra ist professionelle Geschichtenerzählerin. Zum Weltgeschichtentag wird die 41-Jährige an diesem Dienstagabend, 19.30 Uhr, bei Ars Musica im Stemmerhof, Plinganserstraße 6, gemeinsam mit sechs Mitstreitern vom Verein "Wortschatz" eines ihrer Märchen präsentieren - ohne Spickzettel. Ihr Märchen dauert etwa acht Minuten. Es geht um einen Verkäufer, der drei bunte Schweine hat und sie trotz ihres hohen Wertes an die Prinzessin verschenkt. Die Außenwelt hält ihn für einen Narren, doch am Ende wird er zum Helden. Solche Erzählungen gefallen Karin Wedra. "Ich liebe Happy-Ends", sagt sie.

Die Geschichte hat Wedra bei einer ihrer Recherchen gefunden und so umformuliert, dass sie nun zu ihrem eigenen Sprachstil passt. Manche Märchen schreibt Wedra aber auch selbst. Dann durchforstet sie tagelang Geschichtsbücher und liest Biografien, denn auch in einem Märchen müssen die Fakten stimmen, findet sie. Vor etwa sechs Jahren hat die Geschichtenerzählerin die Erzählschule "Die Sprechwerker" gegründet. Ihre Philosophie lautet: Jeder kann Erzählen lernen. "Es ist wie ein Handwerk", sagt sie. In Erzähl-Workshops lehrt sie eine Methode, bei der mit Hilfe von Geschichten Inhalte besser im Gedächtnis bleiben sollen. Ihre Kunden sind zum Beispiel Unternehmen, die neue Marketingstrategien suchen. Viele der Workshop-Teilnehmer sind aber auch Lehrer und Erzieher, die lernen wollen, wie sie durch Erzählen Wissen vermitteln können.

Früher hat Karin Wedra selbst in der Unternehmenskommunikation und im Marketing gearbeitet. Das Geschichtenerzählen war zunächst eine Nebentätigkeit, mittlerweile hat sie dem "Handwerk" ihr Leben gewidmet und ein Geschäft daraus gemacht. Sie unterrichtet nicht nur und erzählt, sondern schreibt auch Bücher über Storytelling, nimmt Hörbücher auf. "Ich war als Kind schon so ein Träumerchen", erinnert sie sich. Endlich könne sie auch andere Leute mit in ihre Welt nehmen.

Nach dem Auftritt am Dienstag muss sie langsam anfangen, die After-Work-Story für den 12. April zu organisieren. Das Projekt fördert Jungerzähler, die noch nie auf einer Bühne standen. Einmal im Monat treten sieben Teilnehmer mit ihren Geschichten im Bahnwärter Thiel auf. Ihre Märchen sind für Erwachsene, das Publikum bekommt Bier serviert. Denn Wedra hat ein Ziel: Sie will endlich das "Rosa-Schleifchen-Glizzer-Image" des Märchens abschaffen.

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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