Mein erstes Mal: Wiesn:Entblößte Briten und Promille-Särge

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Ballermann-Apres-Ski-Hits in der Endlosschleife, Bier aus Liter-Krügen und Promis in Designer-Dirndln. Ein Wiesn-Debüt.

Pia Röder

Susanne Kronzucker und ich haben eigentlich nicht viel gemeinsam. Sie ist blond, Fernsehmoderatorin und trägt ein maßgeschneidertes Dirndl. Ich habe dunkle Haare, bin Studentin und mein Kleid ist secondhand. Eine Sache aber verbindet uns: Kaum drei Minuten auf der Wiesn, schon stürzen sich die Fotografen auf uns und knipsen die Speicherkarten voll - sehr schmeichelhaft und das an meinem ersten Wiesnbesuch. So macht man sich Freunde.

(Foto: Foto: ddp)

Das Billig-Dirndl scheint seinen Zweck zu erfüllen. Als Wiesn-Touri und eigentlich nördlich des Weißwurstäquators ansässig, hielt sich das Wohlgefühl in der Tracht bis dato noch in Grenzen.

Doch erst einmal auf der Theresienwiese angekommen, ist alles halb so schlimm. Fast jeder trägt Dirndl oder Lederhosn; keiner schaut angewidert oder peinlich berührt - alles völlig normal. Seltsame Blicke am Schokobananen-Stand erntet nur meine Dirndlschürze. Eine Münchnerin macht mich darauf aufmerksam, dass ich die Schürze falsch gebunden hätte: "Links hoast frei, Mitte Jungfrau, rechts vergeben, hinten verwitwet." Heimlich friemel ich mir die Schleife von hinten nach links. "Passt", sprach's und lacht.

Bierleiche im Promillesarg

Andere machen weniger Aufwand um subtile Flirttechniken und tragen schlichte Filzhüte, auf denen "To drunk to get dressed!" steht und strecken einem ungebeten das nackte Hinterteil entgegen. Der junge Mann mit den exhibitionistischen Attitüden heißt Bob, kommt aus England und besucht auch zum ersten Mal das Oktoberfest. Er findet es "gorgeous", mit einem langgezogenen "ooooo". Das erzählt er mir, nachdem er sich seiner zuvor getrunkenen Maß entledigt hat. Direkt neben einem dieser Hydranten, von dem alle denken, er sei ein Mülleimer. Bob ist also einer dieser berüchtigten "Wildbiesler".

Andere haben nicht das Glück, den Alkohol auf diese Weise loszuwerden. Gegen acht Uhr abends laufen Sanitäter in Scharen über den Festplatz, die sich um die armen Schlucker kümmern müssen. Die Krankenpfleger treten stets im Rudel auf - immer vier auf einmal schleppen eine überdachte Trage von Zelt zu Zelt. Das funktioniert wie mit den meisten Wiesn-Besuchern: Leer hin, voll wieder zurück. Wer in dem Promille-Sarg unter der Plane liegt, sieht man nicht. "Des sind die, wos goarnimmer packn", rief mir einer der Sanitäter auf Anfrage zu und verschwand im Getümmel.

Wo auch immer er hingebracht wird, er hat's zumindest warm. Im Gegensatz zu mir. Denn in München wird es am frühen Abend bei gefühlten acht Grad recht frisch um die Wadln. Ich entscheide mich für das Zelt mit dem geschmackvollen, überdimensionalen Plastikochsen über dem Haupteingang - die Ochsenbraterei. Eine Reservierung habe ich nicht, aber Münchner sind gesellig und haben immer "an Platz frei für fesche Madln", sagt Kuno aus Fürstenfeldbruck. Er kommt schon seit über 25 Jahren zur Wiesn: "I hob do a Menge Freind'!" Die Bedienung kennt er auch. Glück für mich, so komme ich schneller zu meiner Maß.

8,25 Euro für einen Liter Bier, von dem ich nicht mal weiß, was es genau ist. Kein Pils, angeblich auch kein Export. Grundbier sei es, erklärt mir Kuno. Ah ja. Im Prinzip ja auch egal. Man wird nur so ungeheuer durstig, wenn man alle bisher dagewesenen Ballermann-Apres-Ski-Hits in der Endlosschleife versucht mitzugröhlen. "Komm hol das Lasso so raus ..." und immer auf- und abspringen, bis die Bierbank ächtz.

Nach einer Maß ist aber auch meine musikalische Schmerzgrenze erreicht und so trenne ich mich schweren Herzens von Kuno. Draußen erst einmal tief durchatmen und dann weiter ins nächste Zelt. Doch vom Hacker- bis Paulaner-Zelt: alle "wegen Überfüllung geschlossen". Dann eben nicht und es zieht mich stattdessen in Richtung Bayerisches Zentral-Landwirtschaftsfest. Sicher eine spannende Ausstellung, aber in Anbetracht der Konkurrenz und der hohen Eintrittspreise, verliert es doch etwas an Attraktivität.

Braungebrannt zur Zobelstola

Je weiter man sich nach hinten Richtung Käfer-Zelt durchkämpft, desto kultivierter wird es. Die Bierleichen-Abstansporte werden weniger, der Müll sammelt sich in den dafür vorgesehenen Behältern und die Dirndl sehen teurer aus. Das sind sie wahrscheinlich auch. Denn im Käfer sitzt die Münchner Schickeria. Jedenfalls stellt man sich als "Preiß" genau so die typisch Münchner Zahnarztfrau mit goldener Kreditkarte vor. Ein klischeehafter und ganz subjektiver Eindruck: Das Alter ist schwer bestimmbar, die Haut wurde im Laufe der Jahre von der Sonne Marbellas zu Leder gebrannt und den faltigen Hals umspielt eine Zobelstola, die raffiniert in den Kragen der Dirndlbluse eingenäht ist.

Dort ist auch Frau Kronzucker, wie ich im schwarzen Dirndl. Vor ihr kniet ein Fotograf: "Schön, Susanne. Jetzt noch mal drehen. Und noch einmal von links. Vielen Dank!"

Da ist er der dann, der Unterschied zwischen ihr und mir. Mich hat kein Fotograf mit meinem Vornamen angesprochen. Aber es war auch schließlich mein erstes Mal auf der Wiesn. Nächstes Jahr erwarte ich einen roten Teppich und eine Eskorte.

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